Thema: Sozialticket - Rede des Fraktionsvorsitzenden Dr. Michael Friedrich im Kreistag

Dr. M. Friedrich

Rede zur Informationsvorlage der Verwaltung betreffs „Prüfauftrag für ein Sozialticket für den Landkreis Nordsachsen“ DS Nr. 1-287/09 in der Sitzung des Kreistages am 09.12.2009

Redemanuskript

zur Informationsvorlage der Verwaltung betreffs „Prüfauftrag für ein Sozialticket für den Landkreis Nordsachsen“  DS Nr. 1-287/09 in der Sitzung des Kreistages am 09.12.2009

//Anrede//,

auf Initiative der Linksfraktion hatte der Kreistag im Juni dieses Jahres die Verwaltung beauftragt, Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Einführung eines Sozialtickets im Landkreis zu prüfen. Dabei hatten wir angeregt, sich an den Erfahrungen der Stadt Leipzig zu orientieren. Das Ergebnis liegt heute als Informationsvorlage vor. Für die sachliche und nachvollziehbare Abarbeitung des Prüfauftrages sei der Verwaltung gedankt.

Über die Einführung eines Sozialtickets in Nordsachsen stimmen wir heute nicht ab. Wir können uns deshalb gern dem Vorschlag der Verwaltung anschließen, diesen ersten Sachstandsbericht zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen des zu erstellenden Haushaltskonsolidierungskonzepts die finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen zur Machbarkeit eines Sozialtickets bei bekannt prekärer Haushaltslage zu bewerten.

Ich möchte einige Schlussfolgerungen aus dem Prüfauftrag ableiten, die für die weitere Arbeit am Sozialticket wichtig sind.

1. Es überrascht doch ein wenig die hohe Anzahl von 31.300 Leistungsberechtigten im Landkreis nach SGB II, SGB II und SGB XII. Selbst wenn wir davon die 884 Kinder und Jugendlichen, die Inhaber einer SchülerRegionalkarte sind, abziehen, verbleiben immer noch 30.416 Personen, die Anspruch auf ein Sozialticket hätten. Das sind deutlich mehr Menschen  als Delitzsch Einwohner hat. Etwa jeder 7. Einwohner aus Nordsachsen wäre anspruchsberechtigt. Das verdeutlicht die Dimension und die Dringlichkeit des Anliegens, ein Sozialticket einzuführen.

2. Das Sozialticket ist keine linke Spinnerei, sondern vielmehr ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit für sozial Benachteiligte. Es geht nicht darum, künstlich neues Verkehrsaufkommen zu generieren oder gar einen wilden HARZ-IV-Tourismus durch die Dübener Heide zu entfachen. Vielmehr besteht das Anliegen darin, den  sozial Abgehängten in unserer Gesellschaft ein soziokulturelles Minimum in Bezug auf das Grundrecht auf Mobilität zu garantieren. Dazu gehört, dass das nächstgelegene Mittelzentrum wenigstens ein oder zweimal pro Woche günstig und bezahlbar zu erreichen ist, sei es für Einkäufe, sei es für kulturelle Veranstaltungen oder für Besuche – unabhängig von den Zwang weisen Vorstellungsgesprächen bei der ARGE, für deren Kosten bekanntlich die Bundesagentur aufkommt. Natürlich könnte  man entgegnen, dass für die erforderliche Mobilität einiges auch über Nachbarschaftshilfe abgesichert werden kann. Das ist wohl richtig, löst aber nicht das Problem. Dieses besteht doch darin, dass die im Regelsatz des SGB II für Verkehrsleistungen veranschlagte Summe nie und nimmer ausreicht, um das Grundrecht auf Mobilität zu gewährleisten. Nicht zuletzt geht es auch darum, Stigmatisierungen von sozial Benachteiligten zu vermeiden.

3. Ein Sozialticket würde den Landkreis selbst nach der günstigsten Variante F4 – also bei einer Beteiligung des Landkreises von 25 % je Ticket und Person – rund 4,4 Mio. Euro im Jahr kosten. Es ist klar, dass selbst bei günstigerer Haushaltslage die Finanzierung eines solchen Sozialtickets problematisch wäre. In den gegenwärtigen Zeiten der Haushaltssicherung ist an eine solche zusätzliche Ausgabe überhaupt  nicht zu denken, soviel Realitätsinn dürfen sie, meine Damen und Herren, meiner Fraktion schon zutrauen. 

Aber ist gibt Alternativen, über die wir ernsthaft nachdenken sollten, denn

4. Die von der Verwaltung vorgelegten Zahlen gehen von einem relativ teuren Modell aus, das bei uns so gar nicht nötig ist. Zudem hat die Verwaltung  Bruttozahlen und keine Nettozahlen vorgelegt, die die tatsächliche Kostenbelastung des Landkreises abbilden.

Zunächst einmal, das  Sozialticket muss keinesfalls – so wie in Leipzig - als Monatsticket ausgestaltet sein. Im Gegensatz zur Großstadt wäre in unserem ausgedehnten Flächenlandkreis eine Rabattierung von Einzelfahrscheinen wesentlich kostengünstiger, z.B. um 50 %. Kaum jemand würde doch auf die Idee kommen, diese Ermäßigung täglich in Anspruch nehmen zu wollen. Dennoch hätte eine solche Regelung zur Folge, dass etwa 20 bis 30 % mehr Fahrgäste gebunden werden könnten, ohne dass nur ein einziger Bus mehr fahren müsste. Die Verkehrsbetriebe könnten durch eine kluge Rabatt-Regelung ihr Ergebnis deutlich verbessern. Der Landkreis seinerseits könnte in den Verhandlungen mit den Verkehrsbetrieben berechtigt darauf bestehen, einen Teil dieses Mehrergebnisses  durch Verrechnung mit der finanziellen Unterstützung der Verkehrsträger zurück zu erhalten. Dass dies möglich ist, hat Leipzig vorgemacht. Ein solches Modell ließe sich mit einer jährlichen Netto-Kostenbelastung unseres Landkreises zwischen 400.000 und 1 Mio. Euro verwirklichen. Das sind schon mal wesentlich freundlichere Zahlen.

5. Ein Sozialticket gibt es nicht nur in Leipzig. Es existiert auch in Brandenburg, wenngleich mit Landesunterstützung. Die saarländische FDP will es landesweit einführen. Es existiert in mehren westdeutschen Städten, darunter im schwarz-grün regierten Hamburg.

In Nordsachsen wird es erkennbar noch einige Zeit dauern, bis es ein Sozialticket gibt. Die LINKE wird sich durch die Haushaltskonsolidierung nicht davon abbringen lassen, diesen Plan weiter zu verfolgen und mit einem überzeugenden Modell Bündnispartner für die Einführung des Sozialtickets zu gewinnen.