Thema: Auswirkungen des Freihandelsabkommen Europäische Union – USA (TTIP) auf die kommunale Selbstverwaltung

Gemeinsame Anfrage der Kreisräte Peter Deutrich und Dr. Michael Friedrich

Sehr geehrter Herr Landrat Czupalla,

die Mitglieder unserer Fraktion  begleiten entsprechend den Möglichkeiten die wieder aufgenommenen  Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und weitere Freihandelsabkommen mit großem Interesse. So richtig das mit diesen Abkommen verfolgte Ziel ist, gerade in Zeiten zunehmender politischer Konflikte in der Welt durch den Abbau von Handelshemmnissen und die Verbesserung von Investitionsbedingungen die transnationale Zusammenarbeit, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Wertschöpfung zu fördern, so kritisch sehen wir jedoch auch erhebliche Risiken für die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, die durch die Kommunen und ihre Unternehmen verantwortet und erbracht werden. Noch weiß man nicht viel über das, was da konkret beschlossen werden soll, aber bereits das wenige, das bekannt wurde, reicht aus, um mehr als beunruhigt zu sein. Neben einigen anderen grundsätzlichen Dingen haben wir als Kommunalpolitiker vor allem wir die Sorge, dass mit dieser Form von Abkommen die Organisations- und Gestaltungshoheit der Kommunen bei der kommunalen Daseinsvorsorge und damit letztendlich die kommunale Selbstverwaltung in Gefahr geraten. Deshalb bitten wir Sie darum, Ihre Position  zu den folgenden uns bewegenden Fragen  - sofern möglich mit Bezug auf die konkrete Situation in Nordsachsen - darzulegen:

 

1.            Inwieweit wurde bisher die Forderung des Europäischen Parlamentes nach maximaler Transparenz durch beide Verhandlungsparteien realisiert? Inwieweit wurden insbesondere die Positionen der Kommunalen Spitzenverbände und des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) im „Gemeinsamen Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen“ (Oktober 2014) bei den Verhandlungen berücksichtigt? Inwieweit werden gegenwärtig die Kommunen über den erreichten Verhandlungsstand unterrichtet? Welche realen Einflussmöglichkeiten über die Bundesregierung und den Bundesrat haben gegenwärtig die Kommunen, um ihre Interessen in die TTIP-Verhandlungen einzubringen?

 

2.            Inwieweit besteht noch eine realistische Chance, dass sich die Bundesregierung  gegenüber der EU-Kommission mit Nachdruck dafür einsetzt, dass die kommunale Daseinsvorsorge, insbesondere die nicht liberalisierten Bereiche wie die öffentliche Wasserversorgung und die Abwasserversorgung, die Bereiche Abfall und ÖPNV, die Sparkassen, soziale Dienstleistungen sowie alle Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Kulturbereich vom TTIP- und allen weiteren Handelsabkommen - ausdrücklich ausgeschlossen werden?

 

3.            Ist davon auszugehen, dass nach Abschluss des TTIP dieses für die Mitgliedsstaaten der EU bindend sein wird und damit Anwendungsvorrang vor dem europäischen Sekundärrecht sowie nationalem Recht besitzt? Kann der eventuell vorgesehene übergeordnete Ständige Rat für die Regulatorische Kooperation (RCC) dem nationalen Recht eine stärkere Geltung verschaffen?

 

4.            Teilen Sie die Sorge vieler Kommunalpolitiker, dass eine eventuelle Marktzugangsverpflichtung bisheriger Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge dazu führen könnte, dass neben den kommunalen auch private Unternehmen die Daseinsvorsorgeaufgaben wahrnehmen können müssen und damit sinnvolle Rechtsformeinschränkungen und Festlegungen für eine effektive Beteiligungsverwaltung der Kommunen, wie sie gegenwärtig in den §§ 94a bis  99 SächsGemO fixiert sind (gültig auch für Landkreise), nicht mehr zulässig wären?

 

5.            Wie stehen Sie zum Vorschlag verschiedener kommunaler Spitzenverbände und des VKU, über die Erarbeitung einer sogenannten Positivliste die kommunale Daseinsvorsorge in den bisher nicht liberalisierten Bereichen definitiv von den Marktzugangsverpflichtungen des TTIP und weiterer Freihandelsabkommen auszunehmen?

 

6.            Wie kann sichergestellt werden, dass das  Öffentliche Beschaffungswesen und das Wettbewerbsrecht, das in der im Jahr 2013 abgeschlossenen Reform des europäischen Vergaberechts sehr weitgehend die kommunale Organisationshoheit im Bereich der Daseinsvorsorge berücksichtigt und speziell Inhouse-Vergaben und interkommunale Zusammenarbeit etwa für Rettungsdienste und die Wasserwirtschaft zulässt, nicht durch die Hintertür eines Freihandelsabkommens wieder ausgehebelt wird?

 

7.            Welche Sicherungen bestehen, dass bei TTIP und anderen Freihandelsabkommen unterschiedliche Standards und Regulierungsansätze in der kommunalen Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik nicht als „nicht-tarifäre“ Handelshemmnisse und somit als protektionistische Handelsschranken angesehen werden, verbunden mit der Verpflichtung, diese abzubauen?          

 

8.            Ist davon auszugehen, dass wie auch immer geartete Investitionsschutzklauseln des TTIP zumindest  mittelbare Auswirkungen auf die Gestaltungsfreiheit des Landkreises bei der Organisation  seiner Aufgaben haben können ? Kann mit TTIP die kommunale Definitions- und Gestaltungshoheit respektiert werden, wie sie mit dem Lissabon-Vertrag garantiert wird? Bleibt die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips für die Erbringung von kommunaler Daseinsvorsorge gewährt, welches unabdingbar sein sollte? Sollte nicht gänzlich auf die vorgesehenen intransparenten Investorenklagerechte (ISDS) und entsprechende geheim tagende Schiedsgerichte zum Investorenschutz verzichtet  und diese Aufgabe der regulären Gerichtsbarkeit übertragen werden?

 

9.            Drohen nicht auch vom dritten interkontinentalen Freihandelsabkommen (TISA) wie bei TTIP und CETA (Freihandelsabkommen EU – Kanada) massive Einschränkungen für die kommunale Selbstverwaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge im Landkreis Nordsachsen?

 

10.          Welche Vorstellungen haben Sie, inwieweit der Kreistag Nordsachsen und die Landkreisverwaltung gemeinsam mit geeigneten Partnern, vorrangig den kommunalen Spitzenverbänden wirksam die Interessen von Kommunalpolitikern bei den weiteren Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen wahrnehmen können?

 

 

Sehr geehrter Herr Landrat Czupalla,

 

wohlwissend, dass schon kaum der Deutsche Bundestag und erst recht nicht die Kommunen letztendlich die Ausgestaltung von TTIP und anderen Freihandelsabkommen bestimmen werden, sollte es gemeinsames Anliegen von Kreistag und Verwaltung sein, rechtzeitig auf  die wahrscheinlichen Folgen aufmerksam zu machen und die kommunale Selbstverwaltung zu verteidigen. Wir sollten gemeinsam darum ringen, dass die Gestaltung unseres Gemeinwesens – die öffentliche Auftragsvergabe, Rettungswesen, Krankenhäuser, Sparkassen, Energiepolitik, Umwelt- und Verbraucherschutz, Trinkwasserversorgung und Kultur – nicht ausschließlich von ökonomischer Macht abhängig wird.

Für die Mühe der Beantwortung dieser auch für den Landkreis Nordsachsen Zukunftsweisenden Fragestellungen möchten wir uns im Voraus bedanken.

gez. KR Peter Deutrich                                                                 gez. KR Dr. Michael Friedrich

Antwort des Landrates