Änderungen des Kommunalrechts mit einigem Licht und viel Schatten
Dr. Michael Friedrich (Vorsitzender der Kreistagsfraktion)
Mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts“ hat der Landtag im November ein
kompliziertes Artikelgesetz beschlossen, das auf hunderten Seiten mit 165 Einzeländerungen
und einer Vielzahl von Verweisen in einem Zug die Sächsische Gemeindeordnung (SächsGemO),
die Landkreisordnung (SächsLKrO), das Gesetz zur Kommunalen Zusammenarbeit, das
Kommunalwahlgesetz, das Beamtengesetz und das Kommunalabgabengesetz mit Wirkung ab
01.01.2014 teils einschneidend ändert. Was bedeuten diese Änderungen für die praktische Arbeit
unserer Mandatsträger_innen vor Ort? Zunächst ein paar Gedanken zur generellen Einschätzung,
danach werden einige der interessantesten Änderungen beleuchtet.
Die Beibehaltung der süddeutschen Ratsverfassung im sächsischen Kommunalrecht ist
nachvollziehbar. Diese Konzeption mit der starken Stellung des direkt gewählten Bürgermeisters
bzw. Landrates hat sich grundsätzlich bewährt, weil die Chance eines überparteilichen Wirkens
der kommunalen Hauptbeamten besteht. Ein abrupter Systemwechsel zur norddeutschen
Magistratsverfassung wäre schwer begründbar, wenngleich bei weitem nicht alle „Chefs“ die
gebotene parteipolitische Neutralität zeigen und mancherorts die gesunde Machtbalance zwischen
dem kommunalen Hauptbeamten und dem Hauptorgan Gemeinderat bzw. Kreistag aus den Fugen
geraten ist. Hier gibt es noch einigen Bedarf an Nachjustierung, der leider nicht genutzt wurde.
Das sächsische Kommunalrecht enthält bereits jetzt starke direktdemokratische Elemente, allerdings
auch hohe Quoren und andere Zugangshürden. Obwohl versucht wird einige dieser Hürden
abzubauen, geschieht dies bei weitem nicht konsequent und mutig genug. Unverständlich ist, dass
Bürgerbegehren, Bürgerentscheide und Einwohneranträge auch künftig nicht für elektronische
Kommunikationsformen geöffnet werden.
Die Novellierung des Gemeindewirtschaftsteils in der SächsGemO fällt ambivalent aus. Einerseits
gelingt es, eine transparente Logik in diese schwierige Materie hineinzubringen und den Einfluss der
Gemeinden auch auf mittelbare Beteiligungen zu stärken. Andererseits aber werden mutige Schritte
zur Modernisierung des Gemeindewirtschaftsrechts gescheut. Ohne Not wird an der Pflicht zur
Anhörung der berufsständischen Kammern und am starren Örtlichkeitsprinzip festgehalten, obwohl
sich beides längst überlebt hat. Die Chance, flexible neue Formen für die wirtschaftliche Tätigkeit
der Kommunen einzuführen wie unlängst im Gesetzentwurf der LINKEN zur Anstalt des öffentlichen
Rechts vorgeschlagen, wird nicht genutzt. Im bundesweiten Vergleich hat Sachsen das restriktivste
Gemeindewirtschaftsrecht.
In § 2 SächsGemO kommt der Sport in den Bereich des gemeindlichen Wirkungskreises, was richtig
ist. Allerdings ist bislang unklar, ob den Kommunen ein Mehrbelastungsausgleich für die neue
Aufgabe „Sport“ zusteht. Positiv zu werten ist die neu aufgenommene Pflicht der Kommunen (und
Landkreise), gemäß § 4 nunmehr zwingend eine Hauptsatzung mit der Mehrheit der Stimmen aller
Gemeinderäte zu verabschieden. Damit besteht die Chance, dass die neu gewählten Gemeinderäte
sich zwingend mit der Struktur ihrer Gemeindeorgane, der Bürgerbeteiligung, der Öffentlichkeit
von Sitzungen u. ä. befassen. In § 11, der die Unterrichtung der Einwohner regelt, wird nunmehr
ausdrücklich die elektronische Form als Soll-Vorschrift normiert, was nur zeitgemäß ist. Allerdings
wird das Problem, dass allein der Bürgermeister festlegt, was er (oder sie) für die „allgemein
bedeutsamen Angelegenheiten ihres Wirkungskreises“ hält, nicht gelöst. Es wurde verabsäumt,
den oftmals strittigen Umfang der Unterrichtungs-, Beratungs- und Informationspflichten zu
konkretisieren, wie das etwa Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen geschehen ist.
Die Einwohnerversammlung laut § 22 soll der Bürgermeister nunmehr nicht mehr zwingend
selbst leiten, ja er muss nach Abs. (1) nicht einmal selbst anwesend sein, sondern kann einen von
ihm beauftragten „leitenden Bediensteten“ zu dem Gespräch mit den Bürger_innen schicken. Da
stellt sich doch die Frage, ob hier die Bürgermeister vor ihren Bürger_innen geschützt werden
sollen. Immerhin geht es bei Einwohnerversammlungen in aller Regel um unbequeme Fragen, etwa
um umstrittene Bauvorhaben. Hier darf sich das Germeindeoberhaupt keinesfalls hinter seiner
Verwaltung verstecken.
Zu den Quoren beim Bürgerbegehren ist mit der nunmehr verbindlichen Festlegung von 10 % in § 25
(1) zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung erfolgt. Ein noch geringeres generelles Quorum wie
etwa 5 %, was jetzt nur per Hauptsatzung erlaubt ist, wäre zeitgemäß. Ebenso der Verzicht auf oder
wenigstens die Absenkung des sehr hohen Zustimmungsquorums von 25 % aller Wahlberechtigten
für einen erfolgreichen Bürgerentscheid (§ 24 (3)). Ein großes Problem ergibt sich aus der Forderung
nach § 25 (2), dass das Bürgerbegehren einen Gesetzes konformen Vorschlag zur Deckung der
Kosten oder zum Ausgleich der Einnahmeausfälle der begehrten Maßnahme enthalten soll. Diese
harte Bestimmung, die in abgeschwächter Form auch jetzt schon in der SächsGemO steht, wird
künftig so manch eine Initiative vorzeitig zum Scheitern bringen. Nach dem Vorbild von Bayern ist ein
Kostendeckungsvorschlag entbehrlich.
Positiv zu werten sind die Herabsetzung des Minderheitenquorums von einem Viertel auf ein
Fünftel für die Akteneinsicht (§ 28 (5)), für die Beantwortung von Anfragen der Gemeinderäte
durch den Bürgermeister (§ 28 (6)) und für das Recht, die Einberufung des Gemeinderates unter
Angabe des Verhandlungsgegenstandes zu verlangen (§ 36 (3)). Auch dass nunmehr nach § 36
(5) ausdrücklich auch die Fraktionen das Recht erhalten, einen Verhandlungsgegenstand auf die
Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderates zu setzen, ist positiv.
Gravierend dagegen ist das Anziehen der Schrauben bei der Fraktionsfinanzierung. Auch
wenn es sich zunächst gut liest, dass nach § 35a (3) künftig den Fraktionen in Städten ab 30.000
Einwohnern Mittel für die sächlichen und personellen Mittel der Geschäftsführung gewährt
werden sollen – bisher ist das eine reine Kann-Bestimmung – ist diese Einwohnergrenze völlig
willkürlich gewählt. Noch einschneidender sind die deutlichen Verschlechterungen bei der
Finanzierung der Kreistagsfraktionen. Während laut § 31a (3) SächsLKrO den Fraktionen bisher
immerhin angemessene Mittel gewährt werden – also eine klare Muss-Bestimmung – wird
daraus jetzt eine sehr viel weniger verbindliche Soll-Bestimmung, überdies unter Streichung des
Wortes „angemessen“. Diese gleich doppelte Verschlechterung für die Kreistagsfraktionen wird mit
einem angeblich sonst drohenden Eingriff in die Finanzhoheit der Landkreise und einem unvertretbar
hohen Verwaltungsaufwand begründet. Immerhin aber waren es die Staatsregierung und der
Landtag, die die zehn großen Landkreise so beschlossen haben. Schon damals war klar, dass weniger
die Einwohnerzahlen der Landkreise als vielmehr deren große Flächenausdehnung und das teilweise
unübersichtliche Gebiet zum Problem werden. Eine zumindest semi-professionelle Geschäftsführung
der Kreistagsfraktionen mit einer angemessenen Finanzausstattung sind daher kein Luxus, sondern
für die kommunale Demokratie unabdingbar.
Wenig mutig ist die Bestimmung, dass nach § 41 (5) die Sitzungen der beschließenden Ausschüsse,
die der Vorberatung dienen, weiterhin nichtöffentlich sind. Dieses Verfahren führt in der Praxis zu
dem absurden Ergebnis, dass bereits nach wenigen Minuten selbst die Lokalpresse den Sitzungsraum
verlassen muss, wenn etwa der Haushalt vorberaten wird. Zur Stadtrats- oder Kreistagssitzung sind
dann alle Argumente hinreichend ausgetauscht, so dass dann kaum noch öffentliche Diskussionen
stattfinden. Wie unter diesen Umständen die Meinungsfindung in den kommunalen Gremien durch
die Medien angemessen reflektiert werden kann und Bürgerinteresse, ja Bürgerbeteiligung wachsen
sollen ist unergründlich. Natürlich muss es auch geschlossene Sitzungen geben, aber eben nur dann,
wenn dies die Rechtslage erfordert. Deshalb bleibt unsere Forderung nach im Regelfall öffentlichen
Sitzungen der kommunalen Gremien aktuell.
Bei der Zusammensetzung der beschließenden Ausschüsse soll es nach § 42 (2) mit dem zusätzlich
eingeführten Benennungsverfahren eine wichtige Neuerung geben. Zwar ist dieses Verfahren
geeignet, manch einen unproduktiven Streit um Ausschussbesetzungen den Wind aus den Segeln zu
nehmen und ermüdende Wahlgänge einzusparen. Was aber ist mit der demokratischen Legitimation
der Ausschüsse, wenn es etwa mehrere nicht in Fraktionen gebundene Gemeinderäte gibt? Die
wären dann außen vor und könnten mit guten Erfolgsaussichten klagen.
Bei der Novelle des Kommunalwahlgesetzes ist interessant, dass sich nicht zu der eigentlich
notwendigen Entscheidung Abschaffung der bislang üblichen Neuwahl und stattdessen Stichwahl im
zweiten Wahlgang durchgerungen werden konnte. So wie die Botschaft jetzt im Gesetz steht - weiter
Neuwahl, aber keine neuen Bewerber - ist es weder Fisch noch Fleisch. Die Bürger_innen werden
im Falle eines erfolglosen ersten Wahlgangs jetzt noch viel weniger verstehen, warum sie unter der
gleichen Konstellation mit exakt den gleichen Kandidaten zu einem zweiten Wahlgang antreten
sollen, mit verheerenden Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung.
Schließlich soll das Ruhestandsalter hauptamtlicher Bürgermeister und Landräte (nicht aber der
Beigeordneten!) auf 72 Jahre heraufgesetzt werden. Mit der eigenwilligen Begründung, dass
diejenigen, die sich im Alter von 65 Jahren wählen lassen, ihre Wahlperiode auch zu Ende führen
sollen. Böswillige könnten daraus Rückschlüsse auf die aktuelle Bewerberlage der CDU ziehen oder
aber - etwa mit Blick auf Nordsachsen - eine Lex Czupalla vermuten.
Mit dem vorliegenden Entwurf wird sich wohl endgültig von dem ambitionierten Versuch
verabschiedet, die SächsGemO, die SächsLKrO und weitere Kommunalgesetze im Interesse
der Lesbarkeit zu einer einheitlichen Kommunalordnung zusammenzufassen, wie dies etwa
in Brandenburg der Fall ist. Insgesamt wird unser Kommunalrecht noch unübersichtlicher
und komplizierter. Das impliziert einen erheblichen Weiterbildungsbedarf, bei dem unser
Kommunalpolitisches Forum gerade im Vorfeld der Kommunalwahlen gefordert ist.