Dr. Michael Friedrich                                                                           Dresden, 15.11.2022

 

Redemanuskript -Es gilt das gesprochene Wort!-

Anhörung zum „Vierten Gesetz zu den Finanzbeziehungen zwischen dem Freistaat Sachsen und seinen Kommunen“ / Gesetzentwurf der Staatsregierung Drucksache 7/10439

 

Vielen Dank Herr Vorsitzender, Herr Staatsminister, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete für die Einladung zur Anhörung!

Noch vor wenigen Jahren habe ich auf den Bänken hier gegenüber gesessen als kommunalpolitischer Sprecher der LINKEN Fraktion, der ich fast 20 Jahre sein durfte. Heute bin ich in gänzlich anderer Funktion hier. Ich will hier nicht unbedingt die Oppositionsgeige spielen, sondern von einigen praktischen Erfahrungen auf Landkreisebene berichten. Seit 1994 gehöre ich dem Kreistag Delitzsch und später Nordsachsen an, nun schon in meiner 6. Wahlperiode.  Außerdem bin ich seit vielen Jahren Gemeinderat in meiner kleinen Heimatgemeinde Löbnitz mit knapp 2200 Einwohnern.  Daher glaube ich, einiges dazu sagen zu können, inwieweit  der FAG-Entwurf der gegenwärtigen multiplen und höchst komplexen Krisensituation, deren Aufzählung ich mir ersparen will, gerecht wird.

Am 14. Dezember wird unser Kreistag den Doppelhaushalt für 2023/24 mit Volumina von rund 390 Mio. bzw. 409 Mio. Euro beschließen. Noch vor wenigen Wochen, zum Oktober-Kreistag, sah es ganz danach aus, dass es gänzlich unmöglich sein würde, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen.  Der so genannte Aufwanddeckungsgrad, also das Verhältnis zwischen ordentlichen Erträgen und ordentlichen Aufwendungen, ist seit 2019 beständig gesunken; er beträgt in den kommenden beiden Jahren nur noch etwa 94 … 95 %. Selbst nach ungezählten Konsolidierungsrunden und einer jahrelangen Haushaltssperre resultiert daraus eine Haushaltslücke von rund 24,1 Mio. Euro. Wir – und sicherlich auch mancher anderer Landkreis – drohten in eine haushaltslose Zeit hineinzuschlittern, mit allen negativen Folgen. Es ist anzuerkennen,  dass das Innenministerium zwar spät, aber gerade noch rechtzeitig die Brisanz der Lage erkannt hat. Der Erlass zu den Genehmigungserleichterungen ähnlich wie zu Corona-Zeiten  erlaubt es uns, nunmehr einen genehmigungsfähigen Doppelhaushalt aufzustellen. So weit, so gut erst einmal, denn einen Haushalt zu haben, auch wenn er zu großen Teilen einer Glaskugel gleicht, ist allemal besser als keinen zu haben.

Natürlich ist mit der in Aussicht gestellten Genehmigung, mit der wir zunächst erst mal handlungsfähig bleiben,  das Problem nur an der Oberfläche angekratzt.  Unser Defizit von 24,1 Mio. Euro bleibt, ohne dass wir auch nur einen Euro mehr haben. Wir behandeln die Symptome, packen aber nicht das Übel an der Wurzel. Um die Situation mit mathematischen Termini auszudrücken:

Die diversen Genehmigungserleichterungen sind absolut notwendige Maßnahmen. Hinreichend für die Problemlösung aber sind sie natürlich nicht!

Worin besteht das Übel? Leider ist es ein gleich dreifaches Übel.

  • Erstens: Wir leben die nächsten zwei Jahre – und wahrscheinlich nicht nur diese – massiv von der Substanz. Das ist das Gegenteil der Zielsetzung der Doppik. Wir sind und werden gezwungen, nicht nachhaltig zu wirtschaften. Wir verschieben das Defizit einfach in die Zukunft, handeln also im Widerspruch zur Schuldenbremse, auch wenn diese auf der kommunalen Ebene nicht ausdrücklich normiert ist.
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  • Zweitens: Wir drücken die kommunale Selbstverwaltung gerade in den  Landkreisen so an die Wand, dass akute Atemnot besteht. In prosperierenden Städten und Gemeinden mit guten Gewerbesteuereinnahmen wie bei uns in Schkeuditz, Delitzsch, Rackwitz und Wiedemar mag das anders sein. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Landkreise und auch Gemeinden aber ist der genannte Befund eindeutig. In diesem Zusammenhang ist es für mich überraschend, dass auf der vorangegangenen Anhörung zum FAG 2023/24 am 27.09.2022 ein alarmierender Umstand überhaupt keine Rolle gespielt hat:
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Nach dem vom Landtag im Jahr 2009 verbindlich eingeführten „Frühwarnsystem Kommunale Haushalte“ befinden sich in diesem Jahr 8 von unseren 10 Landkreisen in der Risikostufe D, also in der schlechtesten Stufe, die eine instabile Haushaltslage begründet. Nur Mittelsachsen wird mit B und der Vogtlandkreis mit C bewertet. Wenn das so ist, zeigt dies nicht etwa Versäumnisse einzelner Kämmerer oder Finanzbeigeordneter auf, sondern dann ist das eindeutig ein systemisches Problem. Ein Problem, auf das der Bericht des Beirates für den kommunalen Finanzausgleich vom 14.April 2022, der ausdrücklich nur den Zeitraum von 2017 – 2019 beleuchtet, als die Welt noch eine ganz andere war, keine Antwort gibt, ja keine Antwort geben kann.  Natürlich ist das nicht die Schuld des Beirates, der nur seinem gesetzlichen Auftrag nachgekommen ist und diese stark vergangenheitsgewandte Betrachtung angestellt hat. Hier sollte dringlich über eine zeitgemäße Modifikation der drei bekannten Indikatoren

.           Prüfung nach ausgabenseitigen Kriterien,

.           Prüfung nach objektiven bedarfsbegründeten Indikatoren,

.           Prüfung auf Basis der Ermittlung der Deckungsquote

nachgedacht werden, aber ebenso dringlich über eine mehr zukunftsbezogene Bewertung des kommunalen Finanzbedarfs!

  • Drittens: Die kommunale Demokratie, das freiwillige Engagement gerade in den Kreistagen leidet. Nicht nur weil die Wege übers Land weit und die Arbeit zeitraubend ist, sondern weil zunehmend der Eindruck entsteht, dass wir auf Kreisebene gerade bei den Haushaltsdiskussionen ohnehin nichts Wesentliches bewirken können. Die Ausgaben- und die Aufgabenzuwächse sind unumgänglich, der entsprechende Zuwachs auf der Ertrags- bzw. Einnahmeebene aber bleibt deutlich hinter ersteren zurück. Die wirklichen Spielräume bei den Investitionen und im freiwilligen Bereich sind marginal, auch wenn wir uns durchaus noch gewichtige Investitionen z. B. im Förderschulbereich, im Straßenbau, im Rettungsdienst, bei der Beseitigung der „Grauen Flecken“ im Internet  und beim Strukturwandel leisten können.  Auch wenn wir formell das Hauptorgan des Landkreises sind, beobachte ich eine zunehmende Ernüchterung und Diskussionsverweigerung in unserem Gremium. Änderungsanträge haben Seltenheitswert, denn die allermeisten sind mit finanziellen Konsequenzen verbunden.  „Hat ja eh alles keinen Zweck, wir können hier unten ja doch nichts ändern!“ – das höre ich oft. Nun bin ich nicht zum Jammern nach Dresden gefahren, sondern um Vorschläge zu machen und hoffentlich mit ein wenig mehr Optimismus nach Hause zu fahren. Deshalb sage ich hier ganz deutlich:

Wenn die Tischdecke zu kurz ist, nutzt relativ wenig, nur an den kleine Stellschrauben zu drehen, etwa an den diversen Nebenansätzen, am überschaubaren vom Land verursachten Mehrbelastungsausgleich oder an der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den einzelnen kommunalen Säulen. Vielmehr muss es  gelingen, die wirklich großen Batzen, die großen Kostentreiber wieder einzufangen. Diese werden ganz überwiegend vom Bund losgelassen, und zwar ganz überwiegend ohne eine auch nur annähernd ausreichende  Finanzierung. Stellvertretend und ohne Anspruch auf Vollzähligkeit seien hier nur die wichtigsten Sozialreformen genannt, die erfreulicherweise zu teils deutlichen Standardverbesserungen führen, die natürlich im Interesse der Betroffenen zu begrüßen sind:

  • Mit der Wohngeldreform  ab 01.01.2023 werden sich die Wohngeldhaushalte in Sachsen von gegenwärtig knapp 44.000 auf etwa 131.000 erhöhen. Jeder dieser Haushalte wird durchschnittlich nicht mehr auf rund 1.700 Euro im Jahr anspruchsberechtigt sein, sondern auf rund 2.000 Euro. Das sind in Summe Mehrbelastungen von knapp 190 Mio. Euro, ganz abgesehen davon, dass bei dreimal so viel Fällen auch dreimal so viel Personal gebraucht wird, das gegenwärtig gar nicht vorhanden ist. Wie das Land dies finanzieren will und welcher Anteil davon auf die Landkreise fällt, steht gegenwärtig in den Sternen. Im worst case ist unser Landkreis mit rund 6  Mio. Euro dabei, die nicht in unserem Haushalt stehen, weil wir sie nicht planen können und weil wir sie nicht haben.
  • Die Novellierung des Unterhaltsvorschussgesetzes mit der Aufhebung der Begrenzung der Bezugsdauer und der Altersgrenze war natürlich eine gute Sache. Weniger gut ist, dass dies die kommunale Seite, darunter die Landkreise mit rund 85 Mio. Euro belastet. Bund und Land haben trotz entsprechender Anträge im Landtag bisher keinen Anlass zum Handeln gesehen. Unseren Haushalt  belastet diese fehlende Bundesfinanzierung mit rund  4,2  Mio. Euro.
  • Auch die Pflegereform ist gegenwärtig ein großes Thema. Tarifliche Bezahlung und angemessene Personalbemessung sind natürlich begrüßenswert.  In der ersten Stufe werden die Eigenanteile der zu Pflegenden um 227 Euro steigen und dann im Durchschnitt 1.869 Euro betragen. Im zweiten Schritt wird diese Entwicklung rapide anhalten, dass Pflegeversicherung und Renten diese Mehrkosten nicht mehr abdecken können. Prognosen zeigen, dass dann rund 60 % der zu Pflegenden Sozialleistungen zur Pflege erhalten müssen. Die kommunalen Hilfen zur Pflege werden sich so in etwa verdoppeln müssen und rund 122 Mio. Euro betragen. Nordsachsen wird einen Aufwuchs von rund  3,1  Mio. Eurozu tragen haben.

 

Weitere große „Ausreißer“ wie die Hilfen zur Erziehung, die seit Jahren ohne Gegenfinanzierung äußerst dynamisch wachsen  oder generell die Weiterentwicklung der Eingliederungs- und Jugendhilfe, die perspektivisch zu dynamisch wachsenden Umlagen an den Kommunalen Sozialverband führen,  will ich aus Zeitgründen gar nicht näher beleuchten.

Das Muster ist jedenfalls immer das Gleiche: Der Bund wird tätig, sehr oft im Sinne der Betroffenen. Das ist überhaupt nicht zu kritisieren, ganz im Gegenteil. Aber der Bund vergisst mit zuverlässiger Regelmäßigkeit, diese sozialen Verbesserungen zu finanzieren. Er verletzt in Größenordnungen das so wichtige Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, der bezahlt!

Diese zentrale Ursache bedingt, dass sich die Schere zwischen den notwendigen Aufwendungen und den ordentlichen Erträgen gerade in den Landkreisen seit Jahren sich immer weiter öffnet. Dabei bin ich jetzt aus Zeitgründen auf enorme zusätzliche Risikofaktoren noch gar nicht näher eingegangen  wie etwa

  • die Inflations- und Energiepreiskrise, die auch die kommunalen Betriebe wie die Stadtwerke und die Krankenhäuser in die Schieflage zu bringen droht,
  • die unzureichende Finanzierung des ÖPNV generell und speziell in den Flächenlandkreisen einschließlich des versprochenen 49-Euro-Tickets,
  • den Unsicherheitsfaktor Tarifabschluss, wo davon auszugehen ist, dass der Personalaufwand mit Sicherheit die von uns geplanten 2 % deutlich übersteigen wird,
  • einen deutlichen Rückgang der kommunalen Steuereinnahmen ab 2023/24, falls wie von den meisten Wirtschaftsweisen erwartet eine Rezession eintritt.

Da all diese enormen Unsicherheitsfaktoren existieren und wie beschrieben das Konnexitätsprinzip auf Bundesseite ersichtlich nicht greift, ist das Land in der Pflicht. Die Kommunen haben bekanntlich keinen eigenen staatlichen Verfassungsrang. Daher muss das Land im kommenden FAG ausreichende und rechtzeitige Krisenvorsorge für die Kommunen betreiben, also wie ein Treuhänder für seine Kommunen wirken. Aus diesem Grund möchte ich sie abschließend ermuntern, doch noch einmal über die zentrale Säule des GMG I, den vertikalen Gleichmäßigkeitsgrundsatz zwischen Land und Kommunen nachzudenken.

Um hier mögliche Irritationen auszuräumen:  Es geht dabei überhaupt nicht darum, von dem regelbasierten, nachvollziehbaren, transparenten und damit sehr weitgehend willkürfreien System abzurücken, um das uns manch andere Bundesländer beneiden. Die kommunale Familie hat gute Gründe, an diesem System festzuhalten. Es geht darum, dass dieses System,  das bekanntlich Mitte der neunziger Jahre ohne irgendwelche Bedarfsberechnungen in aller Schnelle eingetaktet wurde und sich seitdem kaum wesentlich weiterentwickelt hat, einer wirklichen, einer vor allem zukunftsorientierten Evaluation unterzogen wird. Die gegenwärtige „Nulllinie“ im GMG I von etwa 36…37% muss ja nicht in Stein gemeißelt sein.

 

In diesem Sinn halte ich die beiden Änderungsanträge der LINKEN, bezogen auf die Umwandlung  des für 2024 geplanten Vorsorgefonds in Höhe von 300 Mio. Euro in einen sofortig verfügbaren Sozialraumfonds und die Erhöhung der Finanzausgleichsmasse für die beiden kommenden Haushaltsjahre um jeweils 250 Mio. Euro  für zwei große Schritte in die richtige Richtung. Würde in diesem Sinn gehandelt, wozu ich sie ausdrücklich ermutigen möchte, könnte das bereits recht gute FAG noch deutlich weiter verbessert und den Kommunen die notwendige Sicherheit für eine lebendige  Selbstverwaltung  gegeben werden.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

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