Die sechs wichtigsten Erkenntnisse aus dem Super-Wahlsonntag in Sachsen
Der Wahlsonntag war von der Landespolitik mit Spannung erwartet worden. Die Parteien versprachen sich davon wichtige Erkenntnisse für den Landtagswahlkampf. Die Ernüchterung war am Abend aber schnell groß, mit diesem AfD-Ergebnis in Sachsen hatten die wenigsten gerechnet. Die LVZ fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Erkenntnis 1: Der AfD können auch Skandale nichts anhaben
Schon vor der Landtagswahl 2019 machte in der AfD ein Kalauer die Runde: Man könne sogar einen blauen Besen zur Abstimmung stellen, hieß es in Anspielung auf die Parteifarbe, dennoch werde die AfD gewählt. Fünf Jahre später, bei der Europawahl, wird nun ein deutlicher Sieg eingefahren – trotz der Einstufung als rechtsextremistische Bestrebung, einer mutmaßlichen Spendenaffäre, einer Verhaftung wegen Spionage für China und verharmlosenden Aussagen zur nationalsozialistischen SS. Das Fazit lautet: Die AfD kann ganz offensichtlich machen, was sie will.
Dabei ist die AfD längst nicht mehr nur in ihren ländlichen Hochburgen erfolgreich. Am Sonntag wurden auch die drei sächsischen Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz bei der Europawahl gewonnen – das ist eine Premiere, die ein klares Signal in Richtung der Landtagswahl am 1. September ist.
Der Protest, für den die AfD einst stand, hat sich inzwischen verfestigt. Im neuen Landtag könnte die Partei – sollte es wieder zu einem solchen Wahlergebnis kommen – als mächtiger Blockierer agieren. Aber mehr auch nicht. Denn in Sachsen schließen bisher die wichtigsten anderen Parteien eine Koalition mit der AfD aus.
Erkenntnis 2: Heimlicher Sieger ist das Wagenknecht-Bündnis
Wer auch immer gemunkelt hatte, dass die Demoskopen mit ihren zweistelligen Umfragewerten für das Wagenknecht-Bündnis daneben liegen, muss sich eines Besseren belehren lassen: Das BSW schafft bei der Europawahl aus dem Stand 12,6 Prozent. Das ist in Sachsen bislang keiner anderen neuen Partei gelungen. Die neue Partei kann damit als die heimliche Siegerin gelten – und das, obwohl Sahra Wagenknecht selbst gar nicht angetreten war.
Die Konsequenz für die Landtagswahl lautet: An dem BSW dürfte nach dem 1. September wohl kaum ein Weg vorbeiführen. Die Parteiführung schielt auf Platz drei, weit vor SPD, Grünen und Linken – die sich teilweise mit dem Einzug in den Landtag schwertun werden. Wie groß das Selbstbewusstsein ist, zeigt Sachsens BSW-Landesvorsitzende Sabine Zimmermann. Sie hat bereits zwei Parteien als Koalitionspartner ausgeschlossen: die AfD und die Grünen.
Die CDU laviert momentan herum, sobald es um Koalitionsaussagen hinsichtlich des BSW geht. Ministerpräsident Michael Kretschmer legt sich nicht fest. Das BSW scheint zumindest auf dem besten Weg in die neue sächsische Landesregierung zu sein.
Erkenntnis 3: Für die CDU gilt – Kretschmer oder nichts
Ein Debakel hat die CDU am Sonntag erlebt – in einem Ausmaß, wie sie es wohl nicht erwartet hat. Die AfD verwies die stolze Sachsen-Union bei der Europawahl nicht bloß auf den zweiten Platz. Die AfD hat mit ihrem Ergebnis die CDU regelrecht demoralisiert. Niemand aus dem Führungsteam der CDU gab am Sonntagabend ein Statement zum Wahlausgang ab. Zu tief saß der Schock.
Der Zuspruch der AfD – die auch in Leipzig bei der Europawahl als Erste durchs Ziel ging – ist in Sachsen riesig. Auch bei den Kommunalwahlen vereint die Partei in vielen Kreistagen die meisten Sitze auf sich. Seit Monaten führt die AfD die sachsenweiten Umfragen zur Landtagswahl an. Wie die CDU da ihr Ziel, wieder stärkste Kraft zu werden, umsetzen soll, kann sie sich vermutlich gerade selbst nicht erklären.
In den vergangenen Monaten hat sich herauskristallisiert, dass die CDU den Wahlkampf auf eine Gewissensfrage zuspitzen wird: Kretschmer oder die AfD? Der beliebte Ministerpräsident ist ihr derzeit einziger Trumpf. Die Frage ist, ob das mehr oder weniger Polarisierung bedeutet. Zuletzt hat Kretschmer mit seinen Äußerungen viele verschreckt. Ob er sich das noch leisten kann?
Erkenntnis 4: Grüne schwächeln in ihren Hochburgen
Noch im vergangenen Jahr träumten die Grünen von einem zweistelligen Ergebnis in Sachsen. Dass die politische Stimmung im Land kippte, wollten sie lange Zeit nicht wahrhaben. Inzwischen redet niemand aus der Führung mehr von 10 Prozent plus x. Jetzt wären die Grünen schon damit zufrieden, wenn sie nur annähernd ihr Ergebnis von der Landtagswahl 2019 (8,6 Prozent) halten würden.
Der Wahlsonntag fällt ernüchternd für die Grünen aus. In einzelnen Landkreisen tauchten sie bei der Europawahl nicht einmal mehr in der Einzelwertung der Parteien auf: So niedrig war das Endergebnis. Auch sachsenweit kratzen sie am Ende soeben die Fünf-Prozent-Hürde.
Alarmierender muss für die Grünen aber sein, dass sie auch in den Großstädten schwächeln. Gerade Leipzig und Dresden waren für sie lange Zeit eine Bank, um wieder in den Landtag einzuziehen. Bei der Stadtratswahl in Leipzig büßten sie nun voraussichtlich ein Drittel ihrer Fraktion ein. Selbst die AfD hat sie in der „linken Großstadt“ Leipzig abgehängt. Gelingt es den Grünen nicht, die eigene Wählerschaft zurückzugewinnen, könnte es am 1. September bei Landtagswahl sehr eng werden.
Erkenntnis 5: Die Rettung der Linken sind wohl Grundmandate
Es scheint ein Kampf gegen Windmühlen: Die Linke kann derzeit so viel strampeln, wie sie will. Irgendwie sind alle Mühen umsonst. Das sächsische Ergebnis bei der Europawahl ist ein weiterer Tiefpunkt. Die Ursachen mögen vor allem bei der in den vergangenen Jahren zerstrittenen Bundespartei liegen, letztlich schlagen die Querelen – und auch der krachende Abgang von Sahra Wagenknecht – bis in den Freistaat durch.
Aktuell sind die notwendigen fünf Prozent, um erneut in den Landtag einzuziehen, längst nicht sicher. Bei der Europawahl kristallisierte sich schnell heraus, dass sie ihr Ergebnis von 2019 (11,7 Prozent) nicht einmal ansatzweise holen würde. Am Ende ereichte es für 4,9 Prozent – aber nur dank der beiden Großstädte Leipzig und Dresden. Die Lage ist jedoch nicht aussichtslos.
Die Rettung könnte für die Linke am 1. September auch in der sogenannten Grundmandatsklausel liegen: Einer Partei genügen demnach zwei gewonnene Direktmandate, wenn die fünf Prozent verfehlt werden, um dennoch im sächsischen Parlament vertreten zu sein. Das könnte jetzt das Minimalziel für jene Partei sein, die einst Oppositionsführerin gewesen ist. Die beiden Landtagsabgeordneten Juliane Nagel, die bei der Kommunalwahl in Leipzig mit Abstand die meisten Stimmen aller Kandidaten holte, und Marco Böhme (ebenfalls Leipzig) haben wohl die besten Chancen auf diese linken Direktmandate.
Erkenntnis 6: Die SPD kommt mit einem blauen Auge davon
Ja, die SPD hat mit 6,9 Prozent im Vergleich zu 2019 (8,6 Prozent) verloren. Die Sozialdemokraten hatten dennoch Schlimmeres befürchtet. Zum einen gibt es mittlerweile einen Olaf-Scholz-Malus, da der eigene Bundeskanzler kein Sympathieträger ist. Zum anderen lag die SPD in sachsenweiten Umfragen mitunter nahe an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Angst, aus dem Landtag zu fliegen, scheint der SPD fürs Erste genommen.
Bei der Europawahl holte die SPD in Dresden und Leipzig mehr als 8 beziehungsweise mehr als 9 Prozent. Auch in sieben von zehn Wahlkreisen lag sie in der Wählergunst bei über fünf Prozent. Ist das Stimmungsbild am 1. September auch nur ansatzweise ähnlich, dürfte der Wiedereinzug in den Landtag gesichert sein. Die SPD setzt zudem darauf, dass Spitzenkandidatin Petra Köpping ihnen die eine oder andere Wählerstimme zusätzlich bringt.
Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schauen hoffnungsvoller auf die nächsten Wochen. Als einziger der drei Koalitionspartner in Sachsen sind sie anscheinend mit einem blauen Auge davongekommen.