„Die Unternehmen wissen nicht, was in den nächsten Monaten passiert“ Zur Person

Torgauer Zeitung

Nordsachsens neuer Wirtschaftsförderer Sven Keyselt (38) über die Energiekrise, den Fachkräftemangel und die Vermarktung von Gewerbestandorten im Landkreis

Nordsachsen. Seit drei Monaten leitet Sven Keyselt das Amt für Wirtschaftsförderung in Nordsachsen. Sein Start fällt in eine Krisenzeit für die Wirtschaft, wenngleich die zuletzt bekannt gewordene Ansiedlung eines Großforschungszentrums in Delitzsch ein Schub für die ganze Region und für Keyselt „eine unfassbar wundervolle Nachricht“ ist. Wir sprachen mit ihm über seine neue Aufgabe, wie Nordsachsens Wirtschaft aufgestellt ist und welche Schwerpunkte er setzt.

Herr Keyselt, seit etwas mehr als drei Monaten sind Sie der neue Wirtschaftsförderer in Nordsachsen. Wie geht es Ihnen in der neuen Position?

Mir geht es sehr gut. Ich brenne für diese Aufgabe, deshalb ist es wirklich schön, dass ich das jetzt machen kann. Ich war vor acht Jahren schon mal tätig im Bereich der Wirtschaftsförderung, damals für zwei Jahre als Sachgebietsleiter. Die Wirtschaftsförderung ist eine tolle Aufgabe. Sie ermöglicht es, den Landkreis mitgestalten zu können.

Wie waren die ersten Wochen für Sie?

So, wie ich das mag: Wir sind sofort direkt in die Themen eingestiegen. Seither jagt eine besondere Situation die nächste. Energie und Preise sind gerade das, was die Wirtschaft am meisten bewegt, aber auch das Thema Fachkräfte, wo wir als Wirtschaftsförderung Angebote schaffen. Es ging also gleich los, und ich weiß, wenn ich Fragen habe, kann ich nachts um 3 Uhr bei Uta Schladitz (sie leitete vor Sven Keyselt das Amt Wirtschaftsförderung, ging in den Ruhestand, Anm. d. Red.) anrufen und sie steht mir zur Seite.

Also hat Sie Ihnen den Einstieg leicht gemacht.

Ganz klar. Es sind große Fußstapfen. Uta Schladitz hat den Landkreis sehr geprägt. Die Übergabe war hervorragend und wir können über die Themen jederzeit sprechen. Wir stehen in gutem Kontakt.

Kann man sagen, die Position als Wirtschaftsförderer ist so etwas wie ein Traumjob für Sie?

Ja, das kann man so sagen. Ich habe mich aus meiner alten Position (Keyselt war Leiter des Eigenbetriebs Bildungsstätten im Landkreis Nordsachsen, Anm. d. Red.) heraus nicht aus Frust beworben. Auch das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht, aber bei den Themen im Bereich der Wirtschaftsförderung kribbelt es einfach.

 

Sven Keyselt ist für rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verantwortlich. Das Amt umfasst die Bereiche Wirtschaftsförderung, Landwirtschaft und das Gebiet der Kultur- und Sportförderung. Zum Bereich Wirtschaftsförderung gehört der Tourismus und die ländliche Entwicklung. Der Bereich Landwirtschaft umfasst alles, was mit dem Erwerb und die Veräußerung von Flächen zu tun hat, hier unter anderem die Umsetzung von Förderrichtlinien.

Wenn wir mal auf Nordsachsen blicken, ist die Aufstellung der Wirtschaft doch recht unterschiedlich. In der Delitzscher Region ist die Wirtschaft, was Industrie und produzierendes Gewerbe angeht, stärker vertreten als im Torgau-Oschatzer Bereich, was auch mit der Verkehrsanbindung zusammenhängt. Sehen Sie auch dieses Gefälle?

Ich würde es nicht Gefälle nennen, es ist eine differenzierte Wirtschaftsstruktur, die wir haben. Um das Ballungszentrum Leipzig finden wir andere Unternehmensstrukturen als in anderen Regionen des Kreises. Aber ich sehe das positiv, weil das in der Summe eine robustere Struktur ist. Wir leben sehr von Kleinstunternehmen, dem Mittelstand und der Landwirtschaft. Gerade letztere ist ein prägender Faktor.

Wenn Unternehmen zwecks Ansiedlungen bei Ihnen anfragen, präferieren die dann den Delitzscher Bereich?

Nein, uns erreichen fast wöchentlich Standortanfragen. Manche geben harte Faktoren vor wie maximal fünf Kilometer zur Autobahn. Dann bieten wir auch nur das an. Es gibt aber viele Anfragen, die das offen lassen, wo wir dann die ganze Bandbreite des Landkreises präsentieren. Ein Beispiel ist die Pilzfabrik in Torgau, wo sich die Investoren bewusst für Torgau entschieden haben.

Deutschland ist gerade in der Krise. Spüren Sie das, gehen Anfragen zurück, nehmen Firmen erstmal Abstand von Investitionen?

Das Thema Energie ist zurzeit das bestimmende Thema, das merkt man schon. Und das macht es für Unternehmen gerade sehr schwierig, zu planen. Die Unternehmen wissen nicht, was in den nächsten zwei, drei Monaten passiert. Dennoch haben wir weiterhin Standortanfragen über die unterschiedlichen Kanäle wie Wirtschaftsförderung des Freistaates oder des Bundes.

Was läuft es bei den Firmen im Kreis in puncto Unternehmenserweiterungen?

Da fehlt mir der komplette Überblick, aber wie ich vereinzelt wahrnehme, stellen Unternehmen solche Pläne zurück, weil sie erstmal beobachten, wie sich die Lage entwickelt.

Wie sehen Sie generell den Landkreis Nordsachsen wirtschaftlich aufstellt?

Wir sind gut aufgestellt, und ich denke, das hängt auch damit zusammen, dass wir so eine differenzierte Wirtschaftsstruktur haben. Wir haben einen starken Mittelstand, ein starkes Handwerk, aber auch große Industrieunternehmen, eine starke Landwirtschaft – das alles zeichnet uns aus. Überall werden Fachkräfte gesucht, ein großes Thema. Das bewerte ich positiv, und hier ist es unsere Aufgabe, die Unternehmen zu unterstützen, was wir ja machen mit Ausbildungsmessen und anderen Angeboten, wo wir die Unternehmen mit potenziellen Auszubildenden in Kontakt bringen.

Ist der Fachkräftemangel momentan das Hauptthema in den Unternehmen?

Top zwei würde ich sagen. Top eins ist das Energiethema. Das sind die zwei großen Schlagwörter, die in meinen Gesprächen mit den Unternehmen immer wieder kommen.

Stichwort Strukturwandel. Was passiert da momentan in Nordsachsen?

Das künftige Großforschungszentrum in Delitzsch eröffnet in der Region ganz neue Perspektiven und ist ganz sicher prägend für den Strukturwandel im Landkreis. Aber nicht allein: Mit dem Glascampus in Torgau hat der Landkreis vor einigen Jahren eines der ersten Strukturwandel-Projekte überhaupt angeschoben. Dort stehen wir vor der Fertigstellung der Objektplanung für das GlasLab, sodass das hoffentlich auch zügig in die Umsetzung kommt. Um darüber hinaus beim Thema Strukturwandel den gesamten Landkreis mitnehmen zu können, steht eine Kollegin den Kommunen beratend zur Seite und begleitet den Prozess der Antragstellung von Fördermitteln.

Abschließende Frage: Welche Schwerpunktthemen haben Sie außerdem auf Ihrer Agenda?

Das ist die Unternehmensnachfolge, aber auch Gründerinitiativen im Landkreis. Wir arbeiten an regionalen Wertschöpfungsketten. Und natürlich weiterhin an der Vermarktung von Gewerbeflächen in den Kommunen. Wir haben in allen größeren Städten und kleineren Kommunen Flächen zwischen fünf und zehn Hektar zur Verfügung. Insgesamt sehen wir uns als großen Dienstleister für die Wirtschaft.

Zur Person:

Sven Keyselt ist 38 Jahre alt und in Brandis geboren. Nach seiner schulischen Ausbildung legte er ein Fachabitur ab und studierte danach in Meißen. Keyselt ist Diplom-Verwaltungswirt. Seit 2004 arbeitet er im Landratsamt Delitzsch. Berufsbegleitend machte er seinen Master in Public Management. Keyselt arbeitete unter anderem im Sozialamt und als Sachgebietsleiter Wirtschaftsförderung und Tourismus, dann als Leiter des Ordnungsamtes bis zur Flüchtlingskrise 2015, wo er das Amt für Migration und Ausländerrecht übernahm. Danach leitete er das Amt für Schulen und Bildung. Seit 1. Juli 2022 ist er Leiter der Wirtschaftsförderung. Keyselt ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in Sandersdorf-Brehna in Sachsen-Anhalt.