Endlager-Suche in Sachsen: Parteien streiten über Verfahren

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

CDU-Kritik: Freistaat trägt bereits Kosten des Braunkohle-Ausstiegs / AfD will moderne Kernkraftwerke, Linke strikt dagegen

Dresden. Auf der Suche nach einem Atommüll-Endlager in Deutschland könnten nach Erkenntnissen der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) auch weite Teile Sachsens grundsätzlich geologisch geeignet sein, wie aus dem ersten BGE-Zwischenbericht hervorgeht, der gestern in Berlin vorgestellt wurde. Diese Nachricht hat gestern im politischen Dresden für ganz unterschiedliche Reaktionen gesorgt. 

▶ Energie-Staatssekretär:Vor- und Nachteile vergleichen

Umwelt- und Energie-Staatssekretär Gerd Lippold mahnte zur Besonnenheit: „Mit der Bekanntgabe der geologisch geeigneten Gebiete durch die Bundesgesellschaft für Endlagerung ist keine Standortentscheidung gefallen. Das zeigt auch der Umstand, dass diese sogenannten Teilgebiete mehr als die Hälfte der Fläche der Bundesrepublik ausmachen.“ Vielmehr habe der Bund auf Basis fachlicher, geowissenschaftlicher Kriterien ausgehend von einer weißen Landkarte zunächst nur die potenziellen Gebiete für ein Endlager benannt. Nun müssten sämtliche Vor- und Nachteile der Gesteinsformationen verglichen werden, mahnte Lippold.

▶ CDU: Sachsen trägt schon Lasten des Strukturwandels

Für die sächsische CDU-Fraktion sagte deren Parlamentarischer Geschäftsführer, Stephan Meyer, der Einigungsvertrag sähe das Verursacherprinzip zum Schutz der Lebensgrundlagen vor. „Sachsen trägt bereits die Lasten des Strukturwandels durch den Ausstieg aus der Braunkohle. Folglich muss die Bewältigung der Kernenergienutzung auch dort erfolgen, wo zuvor überwiegend der Nutzen stattfand.“

▶ AfD: Moderne Kernkraftwerke werden gebraucht

Der energiepolitische Sprecher der AfD, Jan Zwerg, kritisierte gestern sogar: „Es gibt mehrere Möglichkeiten radioaktive Rückstän-de unschädlich zu machen oder sogar zu recyceln, um diese Stoffe weiter verwenden zu können.Daran sollten wir intensiv forschen, statt darüber nachzudenken, angeblichen Müll für Hunderttau-sende Jahre in unterirdi-sche Höhlen zu bringen.“ Gebraucht würden moderne Kernkraftwerke.

▶ Linke: Lehnen Nutzung von Kernenergie ab

Sein Kollege Marco Böhme (Linke) hielt dagegen: „Wer heute noch für die weitere Nutzung von Atomenergie eintritt, muss bitteschön auch gleich sagen, wo in Sachsen Atomkraftwerke und ein Endlager gebaut werden sollen. Soll es die Lausitz treffen oder den Südraum von Leipzig oder das Erzgebirge? Wer A sagt, muss auch B sagen!“ Die Linke lehne die Nutzung von Kernenergie ab und wolle den Verzicht im Grundgesetz fixieren.

▶ SPD: Populistisches Handeln gefährdet das Ziel

Der energiepolitische Sprecher der SPD, Volkmar Winkler, relativierte gestern: Dass alle Regionen Deutschlands in Betracht kämen und es keine politischen Vorfest-legungen gäbe, sei und bleibe richtig. „Welche Gesteinsarten geeignet sind, ist eine wissenschaftliche Frage und keine politische. Wer jetzt reflexartig ganze Regio-nen wieder von der Karte streichen will, handelt populistisch und gefährdet das Ziel, einen geeigneten Standort für die sichere Lagerung des gefährlichen Mülls zu finden“, so Winkler.

 

Atommüll-Endlager in Nordsachsen? Landrat warnt vor Panikmache

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat gestern 90 Teilgebiete in Deutschland benannt, die für den Bau eines Endlagers für Atommüll infrage kommen könnten. Darunter sind drei, die den Freistaat Sachsen tangieren, eines davon liegt zum Teil im Landkreis Nordsachsen. Das Gebiet erstreckt sich entlang der Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Sachsen bis in das Bundesland Brandenburg. Bisher wurden für die Auswahl ausschließlich geologische Daten ausgewertet – das heißt, auch ein Teil des Landkreises Nordsachsen gehört zu einem Gebiet, in welchem es Gesteinsformationen gibt, die prinzipiell für die Atommüll-Endlagerung als geeignet erscheinen. Raumplanerische Aspekte wie zum Beispiel der Abstand zur Wohnbebauung oder Nähe zu Naturschutzgebieten spielen jedoch erst in den weiteren Arbeitsschritten eine Rolle. Auch das Landratsamt Nordsachsen betonte, dass der Bericht nur ein Zwischenschritt in Phase I des insgesamt über drei Phasen laufenden Standortauswahlverfahrens sei. Landrat Kai Emanuel (parteilos) warnte gestern: „Wir haben es doch gerade bei Corona erlebt: Angst- und Panikmache sind schlechte Ratgeber, auch die Pandemie ist nicht nur rein virologisch, sondern auch sozial, wirtschaftlich und kulturell zu betrachten. Nicht anders verhält es sich beim Thema Atommüll. Der vorliegende Bericht beinhaltet zunächst nur eine rein geologische Betrachtung. Danach käme halb Deutschland für ein Endlager infrage. Das muss nun wissenschaftlich akribisch untersucht und nach weiteren Kriterien immer mehr eingegrenzt werden, bevor hier die Politik tatsächlich entscheiden kann.“ Er könne sich zudem „nur schwerlich vorstellen, dass der Strukturwandel im Mitteldeutschen und Lausitzer Braunkohlerevier, für den Bund und Land viele Milliarden Euro in die Hand nehmen, in ein Atommüll-Endlager mündet. Unter ,Lebenswerter Landkreis’, dem unser Kreisentwicklungskonzept gewidmet ist, verstehe ich gleichfalls etwas anderes.“  (Text: Frank Pfütze)