Gespräch beim Bäcker und langer Atem: Was hilft gegen Politik-Frust in Sachsen?

Torgauer Zeitung

Wie bewerten die Menschen im Freistaat die Arbeit ihrer Vertreter? Der „Sachsen-Kompass“ zeigt die Werte für Institutionen und Parlamente. Gegen die Unzufriedenheit gibt es sechs konkrete Impulse.

Leipzig. Immer wieder gehen Menschen in Sachsen auf die Straße und demonstrieren. Sei es für die Demokratie, gegen Corona-Maßnahmen, beim CSD oder mit der rechtsextremistischen Pegida. Aber wer zufrieden ist, geht doch nicht mit Plakaten zur Demonstration und schreit lauthals Parolen wie „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“ und „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr unsere Zukunft klaut“.

Wie zufrieden die Sachsen sind, zeigen nun die Ergebnisse aus dem „Sachsen-Kompass“, einem Projekt der Leipziger Volkszeitung und der Sächsischen Zeitung. Bei der großen Leserbefragung wollten die Redaktionen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch wissen, wie zufrieden sie mit der Arbeit diverser Institutionen beziehungsweise Amtspersonen sind – vom Stadt- und Gemeinderat über den sächsischen Ministerpräsidenten bis hin zur Bundesregierung.

Gut 22 000 Personen haben diese Frage beantwortet und ihr Kreuz innerhalb der sechs Abstufungen – von „sehr zufrieden“ bis „überhaupt nicht zufrieden“ oder „kann ich nicht einschätzen“ – gesetzt. Werden die Stimmen für „sehr zufrieden“ und „eher zufrieden“ zusammengefasst, schneidet Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit 42 Prozent am besten ab. Dicht gefolgt vom jeweiligen (Ober-)Bürgermeister mit 35 Prozent und dem jeweiligen Stadt- und Gemeinderat mit 33 Prozent.

Doch täuschen lassen sollte man sich von den Zahlen nicht. Denn obwohl die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Sachsen-Kompasses“ einerseits Kretschmer am besten einschätzen, belegt er, wenn es um die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Institution beziehungsweise der Amtsperson geht, nur den vierten Platz. Dafür wurden die Antworten in den beiden Kategorien „eher nicht zufrieden“ und „überhaupt nicht zufrieden“ zusammengezogen.

Auf Platz drei des Unzufriedenheit-Rankings landet die sächsische Landesregierung mit 32 Prozent. Den zweiten Rang belegt – wie im Zufriedenheitsranking – der (Ober-)Bürgermeister mit 37 Prozent. Überhaupt nicht zufrieden sind die Befragten mit der Bundesregierung – immerhin zu rund 65 Prozent, also zu knapp zwei Dritteln.

Doch was erwarten die Bürger eigentlich, um „zufrieden“ zu sein? Und was kann die Politik konkret dafür tun? Sechs Impulse von Lokalpolitikerinnen und -politikern, einem Verein für Erwachsenenbildung, einer Demo-Organisatorin und einem Politikwissenschaftler.

Vor der Wahl zur Bürgermeisterin für Seifhennersdorf (Landkreis Görlitz) war Mandy Gubsch bereits in vielen Vereinen aktiv gewesen und hatte sich unter die Menschen gemischt. „Da hat man dann vielleicht schon gesehen, dass ich jemand bin, der sich engagiert, ehrlich und offen spricht und das fernab der breiten Masse, sondern aus der Mitte heraus“, sagt Gubsch von der Wählervereinigung „Gemeinsam für Seifhennersdorf“.

Bereits im ersten Anlauf setzte sie sich 2023 bei der Wahl zur Bürgermeisterin unter den vier Bewerbern mit absoluter Mehrheit durch. Hier schneiden die (Ober-)Bürgermeister mit 47 Prozent Zufriedenheit im „Sachsen-Kompass“ besonders gut ab.

Der Vorteil, wenn man aus der Mitte heraus agiert? „Ob ich auf dem Markt bin und Tomaten kaufe oder beim Bäcker was hole – ich werde überall angesprochen. Das Feedback kriegt man hier unvermittelt und direkt“, sagt die Stadtchefin. Wer Gubsch nicht persönlich antrifft, könne sich zudem jederzeit per E-Mail an sie wenden. „Ich führe jetzt außerdem ein Beschwerdemanagement ein, das heißt, unsere Mitarbeiter leiten die Beschwerden der Bürger direkt an mich weiter.“

Bei der Frage, was die Bürger erwarten, um zufrieden zu sein, geht es Karin Pritzel zufolge um Wissen. „Wissen um Strukturen und Abläufe. Nur so schaffe ich Verständnis“, sagt die Geschäftsführerin des Herbert-Wehner-Bildungswerks in Dresden, eines staatlich geförderten Vereins, der seit 1992 politische Erwachsenenbildung anbietet. „Institutionen und Mandatsträger müssen proaktiv über ihr eigenes Handeln und Tun kommunizieren. Im Gegenzug sind die Bürger gefragt, sich aktiv zu informieren, Wissen anzusammeln, konkrete Fragen zu stellen – und nicht nur zu pöbeln.“

Was Institutionen und Amtsträger konkret tun können, um die Bürgerzufriedenheit mit ihrer Arbeit zu erhöhen, sei, aktiv Feedback einzufordern. Entsprechende Automaten für solche Rückmeldungen stehen beispielsweise jetzt schon in Krankenhäusern, Behörden und Rathäusern. „Es reicht nicht, bei den Ansammlungen am Montag Schilder in die Höhe zu halten mit ‚Die da oben machen Mist‘ und ‚Wir haben es satt‘“, sagt Pritzel. „Konkretes und wertschätzendes Feedback will gelernt sein.“ Und das müssten sich Politiker einholen.

„Für uns als Zivilgesellschaft sind Demonstrationen ein wichtiges Mittel, Gehör für unsere Anliegen zu finden“, sagt Paula Berg von „Wir sind die Brandmauer Dresden“. „Als Aktionsbündnis erwarten wir, dass Politiker und Politikerinnen die Forderung, für die seit Januar in Dresden und bundesweit immer wieder Zehntausende auf die Straße gehen, ernst nehmen.“

„Mithilfe von großen Demonstrationen versuchen wir, den Sorgen und teilweise auch der Unzufriedenheit mit den demokratischen Parteien sowie deren Umgang mit der aktuellen Situation Ausdruck zu verleihen. Bei diesen können Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihre demokratischen Werte einstehen und zusätzlich Kraft aus der schieren Masse schöpfen“, so Berg. Dies sei wichtig, „denn bei den vielen negativen Schlagzeilen ist es leicht, sich allein zu fühlen“.

Die Aktivistin wünscht sich, eine offene Debatte beizubehalten, in der es wichtig ist, demokratische Institutionen und Amtspersonen kritisieren zu können – jedoch immer faktenbasiert, sachlich und konstruktiv.

„Zufriedenheit ist eine Kategorie, die individuell sehr verschieden wahrgenommen wird“, sagt Kai Emanuel. „Was den einen zufrieden macht, kann bei einem anderen genau das Gegenteil bewirken.“ Emanuel (parteilos) ist seit 2015 Landrat des Landkreises Nordsachsen, er wurde 2022 mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang wiedergewählt. Wie er das geschafft hat?

„Ich habe vor der Wahl betont, weiterhin für eine Politik der Vernunft und Verantwortung zu stehen, die sich am Wohl des gesamten Landkreises und nicht an einzelnen Interessengruppen orientiert“, sagt er. „Wir haben einen verlässlichen Plan und irrlichtern nicht durch die bewegten Zeiten. Das wissen die Bürger zu schätzen.“

Im „Sachsen-Kompass“ gaben von knapp 1200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Landkreis Nordsachsen 50 Menschen an, sehr zufrieden mit Emanuels Arbeit zu sein (4,2 Prozent), 307 (knapp 26 Prozent) waren eher zufrieden. 395 Menschen (33,4 Prozent) erklärten sich „teilweise zufrieden“.

Die höchste Zufriedenheit in der Umfrage erhielt Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer (parteilos): 11,6 Prozent sehr zufrieden, 23,6 Prozent eher zufrieden. Aus seinem Landkreis gab es insgesamt 923 Antworten. Allerdings hat Neubauer mittlerweile seinen vorzeitigen Rücktritt angekündigt. Dabei hat er Landes- und Bundespolitik heftig kritisiert, aber auch die ausufernde Bürokratie. Wörtlich hat Neubauer gesagt: „Ich gebe auf, weil da draußen zu viele den Mund halten.“

„Wenn man seine Arbeit gut macht und immer offen für den Dialog ist, sollte es wenig Unzufriedenheit geben“, sagt die Dresdner Stadträtin Dana Frohwieser (SPD). Wie man seine Arbeit gut macht? „Es ist wichtig, dem Gegenüber immer auf Augenhöhe zu begegnen und die geäußerte Unzufriedenheit erst einmal ernst zu nehmen“, so Frohwieser.

Das fängt im Kleinen an: „Wenn beispielsweise ein Bürger mich am Infostand bittet, an der Haltestelle der Straßenbahn würde es an einer Sitzgelegenheit fehlen, kontaktiere ich die Zuständigen bei der DVB (Dresdner Verkehrsbetriebe, d. A.) und bitte um Abhilfe“, sagt die Stadträtin.

Anders bei großen Themen: „Bei der Schule, die seit der Erbauung 1968 nicht saniert wurde, braucht es einen langen Atem, die Organisation einer Lobby, Anträge im Stadtrat, viele Gespräche mit den Zuständigen in der Verwaltung und am Ende einen willigen Menschen in der Stadtspitze, der oder die bereit ist zu sagen, wie es geht, statt warum es nicht geht.“

„Generell müssen Politiker und Politikerinnen gute Politik machen“, sagt Professor Hans Vorländer von der Technischen Universität Dresden. Dabei sei vor allem darauf zu achten, dass man es nicht allen recht machen kann. „Bürger und Bürgerinnen haben unterschiedliche Bedürfnisse, Präferenzen, Meinungen und Wertvorstellungen, denn wir leben nicht in einem Staat, der nur aus Konsens besteht. Wir leben in einer Demokratie, in der die Pluralität und die Vielfalt entscheidende Kennzeichen sind“, so Vorländer.

„Deshalb können Politiker nicht nur auf das hören, was die Bürgerinnen und Bürger sagen, sie müssen auch führen und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen“, sagt der Politikwissenschaftler. „Auch wenn die nicht immer alle Bürger gut finden. Das ist das Spiel der Demokratie.“