Großforschungsinstitute: Delitzsch und Rackwitz in der engeren Wahl

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Ob die Zentren entstehen, wird im September entschieden. Danach geht es um die Standorte.

Delitzsch/Potsdam. Im Zuge des Kohleausstiegs sollen zwei neue Großforschungszentren in Ostdeutschland entstehen. Sechs Ideen haben es in die engere Auswahl geschafft, davon profitieren könnten nun Delitzsch oder Rackwitz. Denn unter den Vorschlägen ist das Max-Planck-Institut in Potsdam (MPI), das sich mit dem Center for the Transformation of Chemistry (CTC) beworben hat und dafür Delitzsch als Standort präferiert. Zudem will das Center für Medicine Innovation (CMI) einen Standort in Rackwitz etablieren.

Genauer: Wie nun bekannt wurde, favorisiert das Chemieforschungsinstitut das Gelände des ehemaligen Biomassekraftwerks (BKD) in der Richard-Wagner-Straße. Mit einer Entscheidung ist noch in diesem Jahr zu rechnen.

Delitzsch „mehr als nur eine Idee“

Im Falle, dass die Wahl auf Delitzsch fällt, soll die wissenschaftliche Forschungseinrichtung später eng mit den Chemiestandorten im mitteldeutschen Braunkohlerevier zusammenarbeiten. In einem Vorstellungsvideo des CTC wird das Vorhaben als „mehr als nur eine Idee“ beschrieben, es sei ein „Aufbruch“.

Auf LVZ-Anfrage erklärt der CTC-Kopf Peter Seeberger zunächst, dass das Projektteam zwar vom MPI angeführt werde, dass das mögliche neue Großforschungszentrum selbst aber kein Max-Planck-Institut werde, so der Direktor des MPI für Kolloid-und Grenzflächenforschung in Potsdam.

Ob die Großforschungszentren überhaupt entstehen, werde im September entschieden, erklärt Seeberger weiter. Erst danach geht es um die Standorte. „Als Antragsteller können wir nur Ideen einbringen – die Entscheidung wird am Ende von einem Auswahlgremium und unter Einbeziehung politischer Entscheidungsträger kommen“, sagt der MPI-Direktor.

Für den Standort Delitzsch habe im Auswahlprozess die Attraktivität gesprochen, erklärt Seeberger, zudem der Fakt, dass die Stadt mit Nordsachsen in einem Landkreis liegt, in dem es bisher keine Forschungseinrichtung gibt. Der Standort sollte außerdem nicht im städtischen Raum liegen, aber dennoch mit dem öffentlichen Verkehr gut erreichbar sein – aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, erklärt Seeberger.

Im Rahmen der Projektentwicklung für das CTC sei weiterhin nach Standorten im Mitteldeutschen Revier gesucht worden, die den Strukturwandel und die Idee des Recyclings und der Wiederverwendung nicht nur wissenschaftlich, sondern auch stadtplanerisch umsetzen. Die ehemalige Zuckerfabrik sei ein perfektes Beispiel. „Hier wurde vor weit über 100 Jahren aus einem nachwachsenden Rohstoff ein wichtiger Beitrag zur Wertschöpfung geleistet. Genau das, was das CTC mit einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in der chemischen Industrie anstrebt – deshalb unser Vorschlag“, so der Direktor.

Dass die Hinterlassenschaften der vorherigen Nutzung im Verdacht stehen, schädlich zu sein, sieht Seeberger als weniger problematisch: „Die Nutzung einer Industriebrache nach einer entsprechenden Sanierung für die Ansiedlung eines Forschungszentrums und forschungsnaher Industrie ist für uns ein wichtiges Beispiel, wie Flächen sinnvoll genutzt werden können“, sagt der Wissenschaftler.

Für das Forschungsinstitut an der Richard-Wagner-Straße rechnet Seeberger mit etwa 650 Arbeitsplätzen. 350 weitere könnten in Sachsen-Anhalt entstehen. Darüber hinaus werden sich in nächster Nähe des Instituts sehr zeitnah forschungsnahe Industrie und Dienstleister ansiedeln, die ein Vielfaches an Arbeitsplätzen schaffen, erklärt der MPI-Direktor. „Die Schaffung von Arbeitsplätzen auf allen Qualifikationsebenen ist das vorrangige Anliegen des CTC“, sagt Seeberger gegenüber der LVZ.

Mit dem Ideenwettbewerb, an dem sich das MPI mit dem Delitzscher Vorschlag beworben hat, fördern das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Freistaat Sachsen und das Land Sachsen-Anhalt die Entstehung der beiden möglichen neuen Großforschungszentren. Sie werden dann perspektivisch mit Mitteln im Umfang von jeweils bis zu 170 Millionen Euro pro Jahr vom Bund und beiden Ländern gefördert, wobei der Bund 90 Prozent der Mittel zur Verfügung stellt. Aufsummiert könnte die Gesamtsumme bis 2038 auf bis zu 1,25 Milliarden Euro anwachsen.

Für Delitzsch könnte diese neue Entwicklung nun die große Hoffnung sein, dass der berüchtigte Schlackeberg und die Ruine des einstigen Biomassekraftwerks verschwinden. Die Hinterlassenschaften auf dem früheren Zuckerfabriks-Gelände, das ab Anfang der 2000er als BKD genutzt wurde, stehen im Verdacht schädlich zu sein.

Bei den Ablagerungen soll es sich um gefährlichen Abfall handeln. Vor drei Jahren übernahm ein Investor das Gelände, wo zuletzt ein neues Wohnviertel entstehen sollte. Die notwendigen umfangreichen Entsorgungskonzepte sollen noch in der Prüfung sein, für Abbruch und Entsorgung kursieren Kosten in Millionenhöhe. Ob und in welcher Form im Falle einer Ansiedlung des CTC eine Änderung im B-Plan-Verfahren stattfinden wird und ob eine Wohnbebauung möglich bliebe, wäre künftig noch zu prüfen.

Weiteres Zentrum im Raum Delitzsch möglich

Mit dem Center für Medicine Innovation (CMI) könnte ein biomedizinisches Forschungszentrum nach Rackwitz kommen und so zum Konkurrenten für Delitzsch werden. Hinter der Idee steckt unter anderem die Universität Leipzig. Geplant ist ein Hauptcampus in der nur wenige Kilometer von Delitzsch entfernten Gemeinde Rackwitz, ein weiterer Campus des CMI könnte nach Köthen (Sachsen-Anhalt) mit Außenstellen in Leipzig und Halle für die Hochschulanbindung gehen.