Höhere Kosten, kleine Renten: Viele Sachsen können sich Pflege nicht leisten
Weil sie auf Hilfe angewiesen sind, werden immer mehr Ältere im Freistaat zum Sozialfall. Dann müssen Kommunen einspringen und etwa für Heimplätze mitbezahlen. Die Zuschüsse gehen in die Millionen.
In Sachsen müssen Pflegebedürftige immer häufiger Sozialhilfe beantragen. Innerhalb von drei Jahren ist die Zahl der „Hilfen zur Pflege“ um ein Viertel gestiegen. Im vergangenen Jahr waren bereits 21 820 Menschen auf die Zuschüsse angewiesen, weil sie sich die Pflege nicht leisten konnten. Besonders gravierend ist die Lage in den Pflegeheimen: Hier braucht im Freistaat fast jede und jeder Dritte die finanzielle Unterstützung.
Das geht aus Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Linke-Bundestagsgruppe hervor. „Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen gelten als Sozialfälle, auch wenn sie ihr Leben lang hart gearbeitet haben“, sagt die sächsische Linke-Vorsitzende Susanne Schaper. Die Sozialexpertin sieht eine kritische Entwicklung. „Das können wir nicht hinnehmen, zumal die Kommunen viel Geld aufwenden müssen, um das pflegepolitische Versagen der Bundes- und Landesregierungen abzufangen.“
Ein Grund sind die steigenden Eigenanteile, die Pflegebedürftige selbst aufbringen müssen. Laut dem Kommunalen Sozialverband Sachsen (KSV) haben die privaten Zuzahlungen seit 2020 um knapp 75 Prozent zugenommen: Aktuell werden pro Monat durchschnittlich 2667 Euro pro Pflegebedürftigen im ersten Jahr für einen Heimplatz fällig. Eine Summe, die viele Menschen vor enorme Probleme stellt – da die Rente und auch die Zahlungen aus der Pflegekasse häufig nicht mehr ausreichen.
In solchen Fällen gibt es die Möglichkeit, bei den Sozialämtern eine finanzielle Unterstützung zu beantragen. Die kreisfreien Städte und Landkreise springen dann mit der „Hilfe zur Pflege“ ein, wenn die Bedürftigen die Kosten nicht mehr aus eigener Kraft tragen können. Doch auch die Kommunen sind nicht selten knapp bei Kasse.
„Das Thema beschäftigt die Landkreise sehr. Die Kosten steigen stetig, sodass eine Überforderung der Pflegebedürftigen und in der Folge davon auch der Träger der Sozialhilfe eintritt“, sagt André Jacob, der Geschäftsführer des Sächsischen Landkreistages (SLKT). „In den vergangenen Jahren sind sowohl die Zahl der Empfänger von ‚Hilfe zur Pflege‘, als auch die Leistungsausgaben dafür deutlich gestiegen.“ Für das laufende Jahr liegen zwar noch keine genauen Daten vor. Doch Jacob erwartet aufgrund der Meldungen aus den Landkreisen: „Wir gehen von sprunghaften Steigerungen sowohl bei den Fallzahlen als auch bei den Leistungsausgaben aus.“
In Zahlen liest sich die Entwicklung so: Laut dem Statistischen Landesamt sind die Ausgaben der sächsischen Kommunen seit 2020 um durchschnittlich 36 Prozent auf zuletzt 166 Millionen Euro gestiegen. In Leipzig betrug das Plus 48 Prozent. Hier wurden im vergangenen Jahr insgesamt knapp 29 Millionen Euro für die „Hilfe zur Pflege“ gezahlt. Das waren knapp 10 Millionen Euro mehr als 2020.
In Dresden gibt es mit 22 Prozent sachsenweit den geringsten Anstieg (plus 3,3 Millionen Euro). Dagegen liegen Mittelsachsen (77 Prozent, plus 3,4 Millionen Euro), Nordsachsen (70 Prozent, plus 2,3 Millionen Euro) sowie die Landkreise Bautzen und Meißen (jeweils 61 Prozent, plus 4 beziehungsweise 2,5 Millionen Euro) weit über dem Landesschnitt.
Der deutliche Anstieg der Pflegekosten sowohl für die Bedürftigen als auch für die Kommunen sei „eine unmittelbare Folge der bundespolitischen Entscheidungen“, meint Falk Gruber, Grundsatzreferent beim Sächsischen Städte- und Gemeindetag (SSG): „Wir kritisieren, dass es die Bundespolitik versäumt hat, die Pflegeversicherung zu reformieren.“ Notwendig sei zwingend eine Vollversicherung.
Der Sächsische Landkreistag sieht zudem ein weiteres Problem: Weil Angebote unbezahlbar werden, könnten weitere Pflegeanbieter schließen oder auf den – wegen der demografischen Entwicklung – eigentlich notwendigen Ausbau ihrer Kapazitäten verzichten. Allein im vergangenen Jahr haben im Freistaat 15 Heime aufgegeben. 2024 mussten bereits fünf vollstationäre Einrichtungen dichtmachen. „Es könnte in einigen Regionen sogar eine Unterversorgung drohen“, befürchtet Landkreistag-Geschäftsführer Jacob.
Wegen der explodierenden Kosten hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Sommer eine erneute Pflegereform angekündigt, die noch vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 beschlossen werden soll. „Die Probleme sind groß, aber sie sind lösbar und werden auch in Kürze angegangen“, gibt er sich optimistisch. Zunächst wird für das kommende Jahr mit einem kräftigen Anstieg des Beitrages zur Pflegeversicherung gerechnet.
Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) mahnt schon jetzt, rasch zu handeln. „Es ist völlig klar, dass wir auf Bundesebene schnell eine Reform der Pflegeversicherung brauchen. Die Menschen brauchen hier Sicherheit, auf den Sozialstaat muss Verlass sein“, macht Köpping klar. Es sei „sehr gut nachvollziehbar, dass die gegenwärtige Situation für viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen unbefriedigend ist und Sorgen auslöst“. Die Eigenanteile für Pflegebedürftige sowie die Ausgaben der Sozialhilfeträger zu begrenzen, bleibe „ein wichtiges Anliegen“ der sächsischen Regierung.
Die Linke-Sozialpolitikerin Schaper schlägt beispielsweise ein Pflegewohngeld vor, das die neue Regierungskoalition in Sachsen zwingend einführen müsse. „Wenn der Staat so die Investitionskosten der Heime übernimmt, sinkt der Eigenanteil für die Bewohnerinnen und Bewohner“, erklärt die Partei- und Fraktionsvorsitzende. Gerecht lösen ließe sich das Problem allerdings nur, sagt Schaper mit Blick auf die Milliardenlücken in den Pflegekassen bundesweit, „indem alle Beiträge in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen müssen, auch für hohe Einkommen im Job oder am Finanzmarkt“.