Kohleausstieg: Die erste Milliarde ist weg

Torgauer Zeitung

Dutzende sächsische Strukturwandel-Projekte sind realisiert, bewilligt oder werden umgesetzt.

Leipzig/Hoyerswerda. Eine „ÖPNV-Verknüpfungsstelle“ wirkt auf den ersten Blick nicht wie etwas, das große Emotionen auslösen kann. Doch bei Frank Rösel sorgt sie für Begeisterung. Der parteilose Bürgermeister von Pegau, einer Kleinstadt mit etwa 6700 Einwohnern im Landkreis Leipzig, hat einen solchen Punkt gerade bauen lassen.

Knapp 1,75 Millionen Euro kostete das Projekt. Hauptsächlich finanziert wurde es mit Fördermitteln, die der Bund bereitstellt. Es ist Geld, das im Rahmen des Ausstiegs aus der Braunkohle fließt. Und so hat Pegau, wo laut Bürgermeister täglich viele Pendler ein- und aussteigen, nun 80 neue Parkplätze, ein öffentliches WC, Ladestationen für Autos und Fahrräder, Fahrradstellplätze und -boxen. „Hervorragend“, schwärmt Frank Rösel in einem Video zum Thema.

Ortswechsel. Hoyerswerda, im Norden des Landkreises Bautzen. Hier ist Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh (SPD) „insgesamt sehr zufrieden“, wenn er auf die Projekte schaut, die seine Stadt mit Geld aus dem Kohle-Topf umsetzt oder abgeschlossen hat.

Im Mai wurde das neugestaltete Lausitzbad eingeweiht. 90 Prozent der Kosten von reichlich 24 Millionen Euro flossen über das „Investitionsgesetz Kohleregionen“, womit die Bundesförderung geregelt wird. Zwei weitere Vorhaben sind realisiert. Sieben laufen oder stehen in den Startlöchern. Darunter ist die touristische Gestaltung des Hoyerswerdaer Ufers vom Scheibesee, ein ehemaliger Tagebau. Dafür soll es ab 2027 noch ein Folgeprojekt geben – dann ist man in Hoyerswerda „durch“, wenn es um Maßnahmen finanziert aus den Kohle-Millionen geht.

Stabsstelle statt Kraftfahrer, 
Referent und Sekretärin

Um mit allem zügig voranzukommen, hat Ruban-Zeh auf einen Referenten, eine Sekretärin und einen Kraftfahrer verzichtet. Stattdessen wurde eine Stabsstelle für Strukturwandel, Wirtschaftsförderung und Öffentlichkeitsarbeit geschaffen. Über eine Förderung seien zudem sechs Projektmanager eingestellt worden, eine Firma wurde mit einem Grundkonzept für die Stadt beauftragt.

Beide Kommunen – Pegau wie Hoyerswerda – liegen in aktiven Tagebaurevieren. Sie sind „kernbetroffenen“, was den Kohleausstieg angeht. Als der von der Regierung beschlossen wurde, fürchtete man dort zunächst Jobverluste und sinkende Steuereinnahmen. Um das abzufedern, war die Förderung für alle deutschen Reviere aufgelegt worden. Damit werden Maßnahmen finanziert, um statt Strukturbruch zu provozieren, den Strukturwandel bis 2038 zu ermöglichen. Dann sollen die letzten Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen.

Im „Investitionsgesetz Kohleregionen“ sind 14 Milliarden Euro eingeplant für direkte Maßnahmen von Bundesländern, Landkreisen, Städten und Gemeinden. Geld beantragen dürfen neben Leipzig alle Kommunen, die in einem Kreis mit aktivem Braunkohlerevier liegen – auch wenn sie Tagebau oder Kraftwerk nicht vor der Haustür haben. Kritik daran, wie es heißt nur in der Lausitz, gibt es bis heute.

Bisher 185 Projekte in Sachsen auf den Weg gebracht

Sachsens Ministerium für Infrastruktur und Landesentwicklung (SMIL) hat zur Förderung im Freistaat nun eine Zwischenbilanz vorgelegt. Danach haben die lokalen Entscheider vom zuständigen Regionalen Begleitausschuss (RBA) des Lausitzer Reviers bisher 133 Vorhaben ihr Okay gegeben. Förder-Umfang: 1,5 Milliarden Euro (Bundesmittel). Im Mitteldeutschen Revier seien 52 Projekte ausgewählt worden, verbunden mit 685,2 Millionen Euro Bundesförderung. Ob alles wirklich realisiert wird, entscheidet die Sächsische Aufbaubank. Die zwei RBAs sind eine Vorinstanz.

In beiden Revieren seien deutlich mehr Mittel „verplant“ worden, als die erste Förderperiode finanziell zu bieten hat. Doch das sei gewollt. Denn zunächst gab es die Befürchtung, die Reviere könnten Geld verlieren, weil Planverfahren, Inflation und fehlende Fachkräfte die Umsetzung von Vorhaben verzögern. Und – es galten anfangs strenge Fristen, um das Geld auszugeben und abzurechnen. Die wurden gelockert, ganz verschwunden sind sie nicht.

Jörg Mühlberg, Geschäftsführer der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung (SAS), die den Strukturwandel begleitet, sieht die Gefahr, dass Gelder verfallen, nicht mehr. Die Sächsische Aufbaubank werde 2025 alle Mittel der ersten Förderperiode bewilligt haben.

Gutachten gegen 
Geheimverhandlungen

Bei einer Sitzung des RBAs für das Mitteldeutsche Revier wurden dennoch erst einmal keine weiteren Projekte bestätigt. Beim Treffen des Lausitzer RBAs am 19. Juni ist das auch nicht zu erwarten.

Aktuell werten die Verantwortlichen ein Gutachten aus, dass die Umsetzung der Förderung in Sachsen unter die Lupe nimmt und das dieser Zeitung vorliegt. Die Verfasser sehen kritisch, dass anfangs eigentlich alle eingereichten Projekte als förderwürdig eingestuft wurden. Sie schlagen vor, eine Art Mindestpunktzahl bei der Bewertung einzuführen. So sollen Vorhaben Vorrang erhalten, die eine „hohe Strukturwirksamkeit haben“.