Mehr Bedarf, steigende Kosten: Was soll sich in der Pflege in Sachsen ändern?

Torgauer Zeitung

Immer mehr Menschen sind auf Pflegeleistungen angewiesen. Doch in den Kassen klafft ein Loch. Mit einem neuen Zusammenschluss soll die Versorgung auch in Zukunft gesichert werden.

 

Das gab es noch nie: Damit jeder Bedürftige auch künftig die notwendige Pflege erhält, haben insgesamt 20 Organisationen einen Maßnahmenplan für Sachsen aufgestellt. Beteiligt waren Krankenkassen, Wohlfahrtsverbände und Pflegedienste. So sollen beispielsweise private Zuzahlungen reduziert und die flächendeckende Versorgung garantiert werden.

„Mit einem Weiter-so wie bisher werden wir es nicht schaffen, die Herausforderungen zu bewältigen“, sagte Rainer Striebel, der Vorstandschef der AOKplus, am Montag in Dresden. Deshalb ist der zehnseitige Katalog auch als Alarmsignal an die Landespolitik zu verstehen. In der Vereinbarung wird ausdrücklich gewarnt: „Die Umsetzung der genannten Ansätze wird entscheidend für eine Versorgungssicherheit sein.“

In Sachsen sind rund 315 000 Menschen auf Pflegeleistungen angewiesen. Das ist bereits etwa jeder 13. Einwohner. In den nächsten fünf Jahren wird die Zahl der Bedürftigen weiter ansteigen. Statistiker rechnen aufgrund des demografischen Wandels mit einer Zunahme von mindestens 10 000 Menschen bis 2030. Dabei nimmt nicht nur die Zahl der Pflegebedürftigen zu, sondern insbesondere der Zeitraum, für den Hilfe benötigt wird. „Die Menschen werden immer länger versorgt“, erklärt AOK-Chef Striebel.

Derzeit werden rund 60 Prozent der Menschen ausschließlich von Angehörigen betreut. „Jeder weiß aus der eigenen Familie, was für einen tiefen Einschnitt es häufig bedeutet, wenn ein Mensch pflegebedürftig wird“, sagt Silke Heinke, die Leiterin des Verbandes der Ersatzkassen in Sachsen (VDEK). Darüber hinaus decken ambulante Pflegedienste weitere 25 Prozent ab, damit Menschen in ihrer gewohnten Umgebung zu Hause bleiben können.

Da sowohl die Anzahl der Pflegebedürftigen als auch die Dauer steigt, wird künftig weitaus mehr Personal benötigt. Das sächsische Sozialministerium geht davon aus, dass bis 2030 in der ambulanten Pflege rund tausend Beschäftigte zusätzlich gebraucht werden, im stationären Bereich sind es sogar 2900. „Es besteht die Gefahr, dass der Bedarf an Pflegepersonal im Freistaat Sachsen in Zukunft nicht gedeckt werden kann“, wird im aktuellen Sozialbericht konstatiert.

„Es entschließen sich viele junge Menschen, in einen Pflegeberuf zu gehen – aber sie gehen diesen Weg zu häufig nicht bis zum Ende“, sagt AOK-Chef Striebel. Deshalb soll dringend daran gearbeitet werden, die Abbrecherquoten in der Ausbildung zu reduzieren. Außerdem müssten auch die Arbeitsbedingungen familienfreundlicher – etwa durch Teilzeitmöglichkeiten – ausgerichtet werden. David Eckardt, der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen, macht klar: „Der erhebliche personelle Mehrbedarf lässt sich nicht allein durch ausländische Fachkräfte decken.“

Aktuell werden im Freistaat pro Monat durchschnittlich 2667 Euro pro Pflegebedürftigen im ersten Jahr für einen Heimplatz fällig. Laut dem Kommunalen Sozialverband Sachsen haben die privaten Zuzahlungen seit 2020 um knapp 75 Prozent zugenommen: Eine Summe, die viele Menschen vor enorme Probleme stellt – da die Rente und auch die Zahlungen aus der Pflegekasse häufig nicht mehr ausreichen. Im Freistaat sind rund 22 000 Menschen auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie sich die Pflege nicht leisten können.

Mit dem neuen Maßnahmenkatalog wird nun gefordert, dass der Freistaat – ähnlich wie bei Krankenhäusern – auch Investitionen in der Pflege finanziert. Für die nächsten fünf Jahre werden jeweils 100 Millionen Euro angesetzt, die für Neubauten, Sanierungen oder etwa Umbauten zu Begegnungsstätten notwendig sind. Auch die Linke hatte vor Kurzem ein solches Programm vorgeschlagen. Auf diese Weise könnten die Pflegeanbieter entlastet werden – und damit auch die Pflegebedürftigen selbst. Der Eigenanteil für Heime ließe sich auf diese Weise um durchschnittlich 440 Euro pro Monat senken, erklärt VDEK-Chefin Heinke.

Der grundlegende Ansatz lautet: Jeder Mensch soll so lange wie möglich zu Hause betreut werden können, wenn das gewünscht wird. Deshalb soll es sowohl für Betroffene als auch Pflegende bessere Informations- und Beratungsangebote geben. Ein zentrales Element ist der Ausbau der Prävention: Es geht darum, dass – nicht zuletzt wegen des steigenden Altersdurchschnitts – später als heute ein Pflegebedarf entsteht. So könnten etwa diverse Vorsorgeprogramme ausgeweitet werden.

VDEK-Chefin Heinke betont: „Das größte Gesundheitsrisiko ist die Vereinsamung, die zu einer schnellen Verschlechterung des Zustandes führen kann.“ Deshalb soll auch in diesem Punkt mit entsprechenden Angeboten angesetzt werden. Darüber hinaus sind etwa „Besuche“ des Hausarztes per Videoschalte angedacht, beispielsweise in Pflegeheimen. In einem ersten Digitalisierungsschritt soll es um die Dokumentationen gehen, die aktuell hauptsächlich handschriftlich erledigt werden müssen.

Die Pflegeversicherung war vor 30 Jahren mit einem Beitragssatz von 1,0 Prozent des Bruttoeinkommens gestartet. Zum Januar wird es ein Plus von 0,2 Punkten auf dann 3,6 Prozent geben. Kinderlose müssen einen Zuschlag zahlen. Dennoch klafft ein Loch in der Pflegekasse. Für das laufende Jahr wird mit einem Defizit von 1,5 Milliarden Euro gerechnet. Der Grund: Die Beitragsanhebung von 2023 war zwar kräftig, aber nicht ausreichend. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stärker als damals prognostiziert.

„Die 0,2 Prozentpunkte werden uns möglicherweise über das Jahr bringen“, sagte der AOK-Vorstandvorsitzende Striebel am Montag in Dresden. VDEK-Chefin Heinke spricht von einer kurzen Erholungsphase, bei dem Einnahmen und Leistungsansprüche gedeckt werden könnten. Die neue Bundesregierung müsse aber unbedingt eine Pflegereform zur Finanzstabilisierung angehen.