Nach Diagnose: „Betroffene wissen nicht weiter“. Das Angebot ist groß: Über 70 Selbsthilfegruppen gibt es in Nordsachsen. Aber wie kommt man in Kontakt?

Torgauer Zeitung

Sie gilt als vierte Säule im Gesundheitssystem: die Selbsthilfe. Mehr als 70 verschiedene Selbsthilfegruppen kümmern sich in Nordsachsen um Menschen auf der Suche nach Unterstützung und Gleichgesinnten. Insbesondere Erkrankten und ihren Angehörigen geben sie Kraft und Halt. Entsprechend groß war kürzlich der Zuspruch beim 6. Aktionstag der Selbsthilfegruppen in Nordsachsen im Bad Dübener Heide Spa. Ziel war es, die Selbsthilfe einem breiten Publikum bekannt zu machen und die Möglichkeiten bei der Krankheitsverarbeitung und der Verarbeitung psychosozialer Probleme zu thematisieren, sagt Konstanze Nebel von der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS).

Das Angebot der Selbsthilfegruppen in Nordsachsen ist breit gefächert und wächst weiter. Das sind vier von ihnen:

René Goldschmidt weiß, worüber er spricht, wenn er von Aphasien, von Sprachstörungen, berichtet. Am 1. Dezember 1998 veränderte sich sein Leben von einer Sekunde auf die andere. Ein heftiger Schlaganfall riss den damals 27-Jährigen aus allen Lebensträumen. Er konnte nicht mehr sprechen und laufen, kämpfte sich mühselig ins Leben zurück. Der Zustand traf ihn damals hart. Doch ans Aufgeben dachte er dennoch nicht. Heute hilft der mittlerweile 53-Jährige anderen Betroffenen und erzählt, welche körperlichen Anzeichen man unbedingt ernst nehmen sollte.

„Mittlerweile bin ich der Vorsitzende des Aphasiker-Zentrums und betreue mit Karin Bolduan die beiden Selbsthilfegruppen in Bad Düben und Eilenburg mit 60 Betroffenen“, berichtet Goldschmidt. In den Selbsthilfegruppen gibt es nicht nur Unterstützung für Betroffene, sondern auch für deren Angehörige. „Das ist nicht minder wichtig. Wir zeigen beiden Seiten, dass das Leben auch nach einem Schlaganfall noch lebenswert ist“, so Goldschmidt.

Zuhören, Austauschen, Unterstützen und Helfen sind die vier Schlagwörter der Diabetiker-Selbsthilfegruppe Bad Düben. Wolfgang Batzke und Christine Pechner leiten die Gruppe. „Seit 2002 treffen wir uns immer am ersten Montag im Monat in der Seniorenbegegnungsstätte der Arbeiterwohlfahrt. Dort gibt es Vorträge zu den verschiedensten Themen rund um unsere Krankheit und mögliche Folgeerkrankungen“, sagt Batzke.

Diabetes ist nicht heilbar. Sie unterscheidet sich in den Typ eins und zwei. „Es gibt bei Diabetes verschiedene Einschränkungen. So zum Beispiel Schlafstörung und Niereninsuffizienz als Folgeerkrankung. Doch man kann gut damit leben, wenn man sich an gewisse Spielregeln hält.“ Dazu gehöre ganz besonders die Ernährung. „Bei unseren Treffen helfen wir Betroffenen, damit sie sich mit ihrer Diagnose wieder im Leben zurechtfinden“, erklärt er.

23 Mitglieder zählt die Selbsthilfegruppe der Blinden und Sehbehinderten Eilenburg/Delitzsch. „Die Zahl der Betroffenen hat sich in der Vergangenheit zu früher etwas reduziert. Die Medizin forscht und entwickelt sich weiter, sodass weniger Menschen erblinden“, erklärt Norbert Britze. Der 53-jährige Bad Dübener kam selbst blind auf die Welt. „Man erschließt sich die Welt mit Ertasten, Hören und Erklären.

Dazu gibt es mittlerweile unzählige Hilfsmittel wie jetzt ganz neu einen sogenannten Navigürtel, der einen mit einer Kamera und Gürtel sicher durch die Stadt geleitet“, erklärte Britze.

Vereinsmitglied Marion Pilz ist 69 und erblindete vor 21 Jahren nach einer Augenkrankheit im Verlauf von drei Jahren. Heute kann sie mit einem Auge nur noch hell und dunkel unterscheiden, das andere ist ganz blind. „Es war eine ganz schlimme Zeit. Norbert Britze und meine Familie haben mich bis heute sehr unterstützt“, erzählt Marion Pilz.

Rita Schilling und Birgit Minkenberg waren einst selbst Krebspatienten. Heute gelten die Paschwitzerin und die Eilenburgerin als geheilt. „Unsere Krankheiten liegen viele Jahre zurück. Aber der Krebs kann jederzeit zurückkommen. Deswegen ist eine engmaschige medizinische Kontrolle wichtig“, erklärt Schilling. Die 66-Jährige gehörte vor 30 Jahren zu den Gründerinnen der Selbsthilfegruppe.

„In der Regel kommen die Betroffenen nach einer Diagnose zu uns und wissen nicht weiter. Wir versuchen, ihnen eine Hilfestellung zu geben“, sagt Schilling. Die Aufgaben der Selbsthilfegruppe sieht sie nicht nur im gegenseitigen Unterstützen, sondern auch in zahlreichen Aktivitäten, die die Gruppe anbietet. Denn primäres Ziel ist, dass der Krebskranke bei all seinen Leiden den Spaß am Leben nicht verliert oder ihn wieder findet.

„In einem vergleichsweise dünn besiedelten Flächenlandkreis, wie dem Landkreis Nordsachsen, mit zum Teil erheblichen Entfernungen zu Fachärzten und Fachkliniken ist die gesundheitsbezogene Selbsthilfe eine besonders wertvolle Ergänzung“, sagt Konstanze Nebel von der Kontakt- und Informationsstelle KISS. Zu den Aufgaben der KISS gehört es, Selbsthilfegruppen bei der Gründung zur Seite zu stehen und sie zu beraten.

Das Angebot von Selbsthilfegruppen in Nordsachsen ist groß. Aktuell gibt es etwas über 70 davon. Von A wie „Alzheimer“ bis Z wie „Zurück ins Leben“. Aktuell befindet sich eine Selbsthilfegruppe zum Thema „Post- und Long-Covid“ in Gründung. Die Selbsthilfekontaktstelle am Landratsamt Nordsachsen ist die zentrale Anlaufstelle für Menschen, die sich für Selbsthilfegruppen interessieren oder sich im Rahmen der Selbsthilfe engagieren wollen. Die Kontaktstelle bringt Hilfesuchende und Selbsthilfegruppen zusammen. 

Weitere Informationen gibt es per Telefon: 03421 758-6321 oder -6357 oder per E-Mail unter 
KISS@lra-nordsachsen.de.