Enttäuschte Erwartungen und wachsende Kritik am Sondervermögen
Sachsen bekommt über Jahre hinweg Milliarden aus Berlin, um Schulen, Straßen & Co. zu finanzieren. Doch für viele geht das Versprechen der zusätzlichen Gelder jetzt doch nicht auf. Nach langen Verhandlungen ist klar, wie viel Geld Sachsen aus dem Sondervermögen Infrastruktur bekommt – und wie es die Mittel ausgeben will. Der Freistaat kann mehr als 4,8 Milliarden Euro zusätzlich einplanen. Knapp 60 Prozent davon sollen in kommunale Projekte fließen, jeder zehnte Euro in Großvorhaben. Damit wird auch klar, welche Wünsche das Sondervermögen nicht erfüllt. Ein Überblick.
Schulsanierungen: Sachsen streicht eigene Mittel
Sachsen will einen Teil des Sondervermögens für Schulsanierungen nutzen. Aus Sicht von Eltern und Lehrkräften reicht das hinten und vorne nicht. Die 480 Millionen Euro, die auf zwölf Jahre verteilt dafür vorgesehen sind, seien kaum mehr als eine symbolische Geste, kommentiert der Landeselternrat. „Verglichen mit dem tatsächlichen Zustand der Bildungsinfrastruktur gleicht das einer Autowäsche für einen wirtschaftlichen Totalschaden.“
Der Sanierungsbedarf sei schätzungsweise zehnmal so groß. Darauf verweist auch die Bildungsgewerkschaft GEW. Landeschef Burkhard Naumann wirft dem Freistaat vor: „Statt mit dem Sondervermögen des Bundes mehr Schulen zu sanieren, wird es genutzt, um Haushaltslöcher zu stopfen.“ Das Land habe die eigenen Fördermittel für den Schulbau im Vergleich zum Vorjahr massiv gekürzt. Das bestätigen Zahlen des Kultusministeriums: Während 2024 neue Bauprojekte an Kitas und Schulen für rund 110 Millionen Euro gefördert wurden, gibt es in diesem und im nächsten Jahr gar kein Landesgeld für neue Schulbauprojekte.
Kommunen wollen mehr Fördermittel vom Land
Auch beim Straßenbau hoffen viele Kommunen auf das Sondervermögen. Beispiel Landkreis Görlitz: Eine Brücke über die Bahn in Mittelherwigsdorf wurde wegen Einsturzgefahr abgerissen, muss ersetzt werden. Die Brücke hat für Landrat Stephan Meyer (CDU) bei der Nutzung des Landkreis-Anteils am Sondervermögen zwar Priorität. Doch das zusätzliche Geld sei „ein Tropfen auf den heißen Stein“, kritisiert er, der Freistaat müsse seine Mittel aufstocken. Meyer verweist darauf, dass offen bleibt, ob die sächsischen Kommunen am Ende mehr Geld für Investitionen haben, wenn die Landesförderung zurückgeht. Allerdings: Laut Verkehrsministerium gibt es dieses Jahr 3 Millionen Euro Förderung für den kommunalen Straßenbau - und kommendes Jahr doppelt so viel.
Der Sächsische Rechnungshof moniert: Dass das Sondervermögen zusätzlich verwendet werden soll, zeige sich aktuell nicht in allen Plänen. „So besteht die Gefahr, dass die neuen Schuldenmittel die schon eingeplanten Haushaltsmittel ersetzen.“ Und Rechnungshof-Chef Jens Michel sieht noch etwas anderes kritisch: Er könne eine gewisse Enttäuschung nicht verbergen. Er hätte sich gewünscht, dass Kommunen das Sondervermögen nur nutzen können, wenn sie einen Teil der Kosten mitfinanzieren: „Einfach, weil man mehr Sorgfalt mit dem eigenen Geld walten lässt als mit ‚geschenkten Mitteln.‘“
Bahn: Kommt die Schiene zu kurz?
Der Fahrgastverband Pro Bahn moniert falsche Prioritäten, verweist auf den Plan, mit dem Sondervermögen eine Olympia-Bewerbung Leipzigs zu unterstützen. „Wenn Millionen aus einem Infrastrukturfonds in Prestigeprojekte wie Olympia fließen sollen, während die Bahnstrecken in Sachsen vielerorts sanierungs- und ausbaubedürftig sind, dann läuft etwas grundlegend falsch“, sagt Regionalchef Markus Haubold.
Die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Franziska Schubert, sieht Land und Bund gleichermaßen in der Pflicht. Diese „riesigen Summen“ sollten für künftige Generationen eingesetzt werden. „Unsere Kinder sollen auf die Bahn setzen können und nicht zum Autofahren gezwungen werden“, erklärt sie. Wichtige Projekte wie die zweigleisige Verbindung Leipzig-Chemnitz oder die Elektrifizierung der Strecke Dresden-Görlitz müssten vorangetrieben, Bahnstrecken reaktiviert und die Taktung vieler Verbindungen verbessert werden. Das sieht Verkehrsministerin Regina Kraushaar ähnlich: „Im Bahnnetz bestehen gravierende Lücken, die der Bund mit der Deutschen Bahn AG endlich schließen muss“, so die CDU-Politikerin. Sie erwarte, dass der Bund weiteres Geld aus dem Sondervermögen in Sachsen investiere, und nicht nur in Hochleistungsstrecken.
Kommunen brauchen strukturelle Entlastungen
Mit dem Sondervermögen ist die Hoffnung verbunden, der Sanierungsstau könnte vielerorts gemildert werden. Doch die ersten Gelder sind noch nicht geflossen, da konstatiert die Ministerpräsidentenkonferenz: Die 100-Milliarden-Scheibe für Länder und Kommunen reicht nicht. Lösung aus Sicht der Länderchefs: Der Bund muss weitere Mittel in Projekte bei Ländern und Kommunen investieren. Entscheidend ist aus Sicht des sächsischen Rechnungshofs vor allem, dass das Geld wirksam eingesetzt wird: „Neue Schulden dürfen kein Ersatz für eine solide Finanzpolitik sein“, kommt die Mahnung. „Wir erwarten den klaren Nachweis, dass die Finanzmittel zusätzliche Investitionen finanzieren.“
Die Kommunen pochen bundesweit darauf, einen Großteil des Sondervermögens zu bekommen – und zusätzliche strukturelle Entlastungen. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag rechnet vor, dass die hiesigen Kommunen im vorigen Jahrzehnt noch Haushaltsüberschüsse erwirtschafteten, inzwischen mit 207 Euro Minus pro Kopf aber das größte Defizit im ostdeutschen Vergleich aufwiesen.
Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert bekräftigte jetzt, dass der Bund jene Aufgaben, die er den Kommunen aufgibt, auch finanzieren müsse. Insbesondere „dramatisch gestiegene Sozialausgaben“, die sie nicht beeinflussen könnten, „erdrosselten“ die kommunale Familie, sagte der FDP-Politiker im Gespräch mit „Table Briefings“. „Das macht uns ja auf der einen Seite hilflos, aber auch ärgerlich.“
Effekt für Wirtschaftswachstum zu klein?
Der Bund plant mit dem Sondervermögen, „das Land zu modernisieren, den Wohlstand zu sichern und mit mehr Wachstum die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu stärken“. Doch daran gibt es Zweifel, etwa bei der Leipziger Industrie- und Handelskammer. „Das Sondervermögen muss konsequent für zusätzliche und zukunftsweisende Investitionen genutzt werden – wie ursprünglich vorgesehen“, fordert deren Präsident Kristian Kirpal.
Es dürfe nicht sein, dass die Mittel in Ersatzfinanzierungen oder zum Stopfen von Haushaltslöchern abfließen würden. „Leider lassen die bisherigen Diskussionen erkennen, dass dieses Ziel zunehmend aus dem Blick gerät.“ Auch der Bauindustrieverband Ost ist skeptisch: Die Verwendung sei breit gefasst, Ziele unkonkret. Dies verringere die Wahrscheinlichkeit, mittel- und langfristig Wachstum zu generieren.
