Schkeuditz und das große Ganze
Die Komplettschließung der Helios-Klinik kam für viele überraschend. Steht sie symbolisch für den Niedergang vieler Krankenhäuser? Und was hat die Lauterbach-Reform damit zu tun? Eine Analyse.
Leipzig/Schkeuditz. Es war ein Paukenschlag für die ganze Region: Die Helios-Klinik Schkeuditz ist seit Ende Mai geschlossen, die Flughafenstadt hat kein Akutkrankenhaus mehr. Kam der Standort über der heftigen Unterfinanzierung deutscher Kliniken zu Fall oder über Lauterbachs Reform? Ein Blick aufs große Ganze und ins Detail.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Kliniken in Sachsen und Deutschland?
Grundsätzlich kämpfen alle Häuser gegen eine massive Unterfinanzierung an. Erster Teil des Problems: der laufende Betrieb. Die Kosten sind durch Inflation und höhere Tarife immer weiter gestiegen – bislang ohne vollständige Refinanzierung durch die Kassen. Selbst große Häuser wie das Leipziger Klinikum St. Georg sind auch durch diese Entwicklungen ins Trudeln geraten und mussten mit teils millionenschweren Hilfen ihrer Träger gerettet werden. Manche Häuser haben es nicht geschafft. Zwischen 2020 und 2024 sind in Deutschland 88 Krankenhäuser in die Insolvenz gerutscht; 369 Standorte wurden geschlossen.
Die meisten Kliniken können keine Rücklagen mehr für spätere Investitionen bilden. Obwohl sich darum eigentlich sowieso die Bundesländer kümmern müssten. Sie tun das aber nur unzureichend – das ist der zweite Teil des Finanzproblems. Derzeit stehe nur ein Bruchteil der dringend benötigten Förderung für Wiederbeschaffung und Erhalt der Klinik-Infrastruktur zur Verfügung, kritisiert die Krankenhausgesellschaft Sachsen (KGS).
Ein weiteres Thema, das vor allem Krankenhäuser in ländlichen Regionen umtreibt, ist der Fachkräftemangel. Das betrifft den pflegerischen Bereich ebenso wie den ärztlichen Dienst.
Was hat die Krankenhausreform damit zu tun?
Sie soll langfristig Kosten sparen und zugleich die Behandlungsqualität verbessern. Die Behandlungen werden in bis zu 65 Leistungsgruppen eingeteilt. Komplizierte Eingriffe sollen nur noch in spezialisierten Häusern erlaubt sein; es gelten Mindestfallzahlen und strenge Regeln für die Ausstattung mit Fachärzten. Zugleich werden die Kliniken verstärkt über eine Vorhaltefinanzierung und damit unabhängiger von den Fallzahlen bezahlt. Kleinere Standorte sollen teilweise zu „Sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ umgebaut werden: Mini-Kliniken für leichte Fälle mit einem größeren ambulanten Angebot und wenigen stationären Betten für Chirurgie, Innere und Geriatrie.
Die Chefs großer Häuser, die von der Reform eher profitieren, sehen die Änderungen grundsätzlich positiv. In kleineren Kliniken überwiegt die Skepsis, weil die Anforderungen dort schwerer zu erfüllen sind und damit trotz Vorhaltevergütung Einnahmen wegfallen. Das bedroht deren Existenz, weil – zusätzlich zur angespannten Finanzlage – auch die Zukunftsaussichten schwinden.
„Die Fachärzte-Anforderungen sind überzogen und aufgrund des Fachkräftemangels teils gar nicht zu erfüllen“, erklärt KGS-Geschäftsführer Friedrich München. Belegarzt-Modelle seien bislang völlig unzureichend abgebildet. Generell würden zu wenig Ausnahmen zugelassen, um in ländlichen Häusern mit niedrigen Fallzahlen und weniger Fachärzten bestimmte Leistungsgruppen zu erhalten, so München.
Welche Probleme bereitet die Reform sonst noch?
Zentrale Rahmendaten fehlen nach wie vor – von der Höhe der Vorhaltefinanzierung bis zur Finanzierung für die „Sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“. Auch ist zum Beispiel noch nicht ganz klar, wer künftig spezielle Krebs-Operationen durchführen darf. Erst, wenn diese Fragen beantwortet sind, können Kliniken abschätzen, welche betriebswirtschaftlichen Konsequenzen die Reform bringt und ob es einem Haus zum Überleben reicht, wenn es eine bestimmte Leistung verliert und dafür vielleicht ein anderes Angebot aufrechterhalten kann.
Andererseits mussten die Häuser bereits bis Ende April in Dresden melden, welche Leistungsgruppen sie künftig anbieten wollen. Weil aber die finanziellen Effekte aufgrund fehlender Daten nicht abschätzbar sind, haben viele Krankenhäuser erstmal alles angemeldet, was sie jetzt schon machen. Nun liegt die Hoffnung auf einer Ankündigung von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU); sie will die Reform entschärfen.
Steht Schkeuditz symbolisch für die Krankenhauslandschaft?
Nach Einschätzung von Branchenexperten war Schkeuditz ein sehr spezieller Fall mit vielen innerbetrieblichen Problemen und zuletzt außergewöhnlich niedrigen Fallzahlen. Zu den Besonderheiten zählte die Lage im Speckgürtel von Leipzig mit einer enormen Wettbewerbssituation durch zahlreiche Kliniken im direkten Umfeld. Dennoch hatte sich das Haus zunächst eine gute Position erarbeitet – zum Beispiel in der Schilddrüsenchirurgie.
Allerdings begann vor einigen Jahren eine immer weiter um sich greifende Personalfluktuation. Mit Chefärzten gingen sukzessive auch Leistungs- und Kompetenzbereiche verloren. Offenbar gelang es nicht, die Lücken zu schließen oder alternative Strategien zu entwickeln – und damit wieder hinreichende Erlöse zu erwirtschaften. Steigende Kosten durch Inflation und Tarifsteigerungen kamen dann noch on top.
Der Fachkräftemangel wurde in der Flughafenstadt zum besonderen Problem, weil ein Haus mit unklarer Zukunft als Arbeitgeber weniger attraktiv ist – sowohl für die Aus- und Weiterbildung, als auch für das Fachpersonal. Diese Situation hat womöglich eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt: Mit dem Weggang von Mitarbeitern verteilte sich die Last auf immer weniger Köpfe, wodurch der Arbeitsplatz noch unattraktiver wurde. Wenn Leistungsträger abwandern, gehen in Folge zudem meist weitere, oft gut qualifizierte Fachkräfte. Hinzu kam nach Aussagen einiger Mitarbeitender ein teils rigider Führungsstil.
Hat die Krankenhausreform dem Standort Schkeuditz geschadet?
„Schkeuditz ist unabhängig von der Krankenhausreform zu betrachten und hat damit nichts zu tun, die Probleme haben andere Ursachen“, sagt ein Insider. Die Helios-Gruppe versuche schon seit Jahren, Kliniken in Großstadtrandlagen zu verkaufen. Dass das in Schkeuditz nicht gelungen sei, habe dann aber schon etwas mit der Reform zu tun: Diese erfordert eine gewisse Spezialisierung und stellt hohe Anforderungen an Personal und Infrastruktur. Wenn aber keine herausgebildeten Kompetenzen mehr existieren und Fachpersonal fehlt, schwindet die Perspektive und damit die Aussicht auf einen Käufer. In Schkeuditz fand sich kein Betreiber mehr, der sich zugetraut hätte, das Haus aus dem Status quo heraus neu zu entwickeln und durch die Klinikreform zu führen.
Sind weitere Kliniken im Freistaat gefährdet?
Ja. Aktuell gelten über drei Viertel der 75 sächsischen Krankenhäuser als bedroht, weil sie rote Zahlen schreiben. „Es gibt Kliniken in Sachsen, in denen aktuell über die Schließung beziehungsweise eine Zusammenlegung diskutiert wird“, sagt KGS-Chef Friedrich München, benennt jedoch keine konkreten Häuser. Zwar hat Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) erklärt, dass im Zuge der Reform kein Haus zumachen soll. Branchenexperten gehen aber nicht davon aus, dass diese Zusage für alle Standorte zu halten ist.
Die Erzgebirgskliniken mit Häusern in Annaberg, Stollberg, Zschopau und Olbernhau befinden sich im Insolvenzverfahren. Allerdings wurde inzwischen die Aufhebung dieses Verfahrens beantragt, wie die Klinik auf Anfrage mitgeteilt hat.
Wie stellt sich die mitteldeutsche Krankenhaus- landschaft neu auf?
Es gibt einen Konzentrationsprozess. Das Klinikum Chemnitz und das Diakomed-Diakoniekrankenhaus Chemnitzer Land haben gerade vermeldet, einen regionalen Klinikverbund zu gründen, zu dem dann 8000 Mitarbeitende und knapp 2000 Betten gehören würden. „Auch wir als Maximalversorger brauchen die Kooperation mit anderen Häusern“, sagt Martin Jonas, kaufmännischer Geschäftsführer am Klinikum Chemnitz. Diakomed in Hartmannsdorf habe Stärken in der orthopädischen Chirurgie (Hüft- und Knieendoprothetik sowie Wirbelsäulenchirurgie). Zugleich drohe das Haus aufgrund der hohen Anforderungen durch die Reform Leistungsgruppen zu verlieren, erklärt Jonas. Andererseits spielten geplante Eingriffe in der orthopädischen Chirurgie am Klinikum Chemnitz eine geringere Rolle, so der Geschäftsführer. Mit dem Verbund könnte sich der Maximalversorger auf zentrale Bereiche wie zum Beispiel das Notfallgeschäft, die Krebs- oder Thoraxchirurgie konzentrieren und Diakomed die geplanten orthopädischen Operationen überlassen.
Bereits vollzogen ist der Verkauf der Muldentalkliniken an die Sana-Kliniken AG. Damit dominiert nun ein großer Gesundheitsversorger mit 780 Betten und 2400 Mitarbeitenden in Borna, Grimma, Wurzen und Zwenkau den Landkreis Leipzig.
In Halle/Saale übernimmt das Krankenhaus „St. Elisabeth und St. Barbara“ das Dölauer Krankenhaus „Martha-Maria“; bei der Fusion entsteht ein Haus mit 2700 Mitarbeitenden und 1000 Betten.
Die Asklepios-Klinikgruppe fusioniert ihre beiden Standorte in Sebnitz und Hohwald (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge); Hohwald wird von einer Akut- in eine Rehaklinik umgebaut.
Eine Zusammenarbeit soll nach LVZ-Informationen auch zwischen dem Uniklinikum Leipzig und der Helios-Klinik Schkeuditz im Gespräch gewesen sein. Am Ende kam es jedoch nicht dazu – mit den bekannten Folgen.
Was bringen größere Kooperationen?
Das lässt sich gut am Beispiel der Gesundheitsregion Südwestsachsen erklären, die als Vorreiter gilt. 18 Krankenhäuser aus Chemnitz, den Landkreisen Mittelsachsen und Zwickau sowie dem Vogtland- und dem Erzgebirgskreis haben im Vorjahr die Gesundheitsregion Südwestsachsen gegründet. Das Ziel: nach Möglichkeit alle Standorte durch die Reform zu bringen. Das Rezept: Es macht nicht mehr jeder alles, sondern jeder konzentriert sich auf das, was er am besten kann. Kleinere Häuser gehen in die Regelversorgung, große Standorte übernehmen schwierige Fälle. Die künftigen Leistungsgruppen (hinter ihnen stehen bestimmte Behandlungskompetenzen) könnten also untereinander aufgeteilt werden – so die Idee. Solche Verbünde und auch weitergehende Zusammenschlüsse sind politisch gewollt.
Was fordern die Krankenhäuser?
Eine Reform der Reform. Und: Der Bund soll die strukturelle Unterfinanzierung der Vorjahre auflösen – nicht mit einer einmaligen Liquiditätsspritze, sondern nachhaltig mit einer Erhöhung des Landesbasisfallwertes, dem wesentlichen Parameter für die Abrechnung von Klinikleistungen. Mehrkosten wegen Inflation und Tarifabschlüssen sollen refinanziert werden, die Länder ihren Investitionspflichten nachkommen. Nach einem Treffen mit ihren Länderkollegen hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) am Donnerstag eine Vier-Milliarden-Euro-Spritze für Deutschlands Krankenhäuser angekündigt.
Wie geht es jetzt weiter?
Ab Herbst soll der Medizinische Dienst Sachsen überprüfen, ob die Krankenhäuser die Voraussetzungen für die von ihnen gemeldeten Leistungsgruppen erfüllen. Daraus entsteht bis Juni 2027 ein Gutachten. Auf dieser Basis entscheidet der Ausschuss für die Krankenhausplanung in Sachsen, welche Klinik künftig welche Leistungsgruppen anbieten darf. Ob es tatsächlich bei diesem Fahrplan bleibt, ist wegen der angekündigten Entschärfung der Reform derzeit unklar.