Schlagabtausch über S-Bahn-Problem, abgehängte Regionen und Zuwanderung

Torgauer Zeitung

In Arzberg kommen sechs Bundestagskandidaten für den Wahlkreis Nordsachsen zu einem spannungsgeladenen Wahltalk zusammen. Das Interesse ist gering, dabei gibt es drängende Fragen.

Rund zwei Stunden und damit etwas länger als angekündigt dauerte am Mittwochabend der Wahltalk im Ostelbischen Mehrgenerationenhaus Arzberg. Dabei stellten sich gleich sechs potenzielle Kandidaten aus dem Landkreis Nordsachsen den Fragen von Arzbergs Bürgermeister Holger Reinboth (parteilos), der die Moderation übernahm, sowie dem Publikum.

Die Veranstaltung hätte durchaus länger gehen können, da es auch gegen Ende der Zeit noch immer angezeigte Wortmeldungen von Besuchern gab. Leider waren neben zahlreichen Wahlkampfunterstützern und Mitarbeitern der Parteien nur rund 20 Leute anwesend.

Ein Umstand, der für das Organisatoren-Team, allen voran Claudia Richter vom Mehrgenerationenhaus, bedauerlich ist. Schließlich könnte es im Vorfeld der Bundestagswahl, die am 23. Februar stattfindet, die einzige Möglichkeit in der Region gewesen sein, so viele Kandidaten aus dem Wahlkreis hautnah und in politischer Diskussion zu erleben.

„Wir haben im Dezember alle möglichen Bewerber eingeladen, die zu diesem Zeitpunkt bekannt waren, und lediglich von Heiko Wittig (SPD) eine Absage erhalten“, so die Haus-Leiterin. Der Löbnitzer hatte für jenen Abend schon einen anderen Termin.

Insgesamt gibt es zehn Personen, die ernsthaftes Interesse für die Bundestagswahl bekunden, so Reinboth. Die Zulassung erfolge erst noch durch den Kreiswahlausschuss, der am 24. Januar tagt.

Mit René Bochmann (AfD), Laurenz Frenzel (FDP), Mike Kühne (Freie Wähler), Peter Neßmann (Die Linke), Christiane Schenderlein (CDU) sowie Kai-Uwe Tüchler (Bündnis 90/Die Grünen) standen sich sehr unterschiedliche Bewerber, nicht nur politisch gesehen, gegenüber.

Während Schenderlein und Bochmann in Nordsachsen bereits etabliert sind und seit 2021 im Bundestag sitzen, haben andere Vertreter, die sich in Arzberg vorstellten, weniger Erfahrung und sind absolute Neueinsteiger. Wie beispielsweise Laurenz Frenzel (FDP) aus Machern, der mit seinen 19 Jahren offen einräumte, sich wenig Chancen für ein Bundestagsmandat auszurechnen.

Auch Kai-Uwe Tüchler (Bündnis 90 /Die Grünen), 30, aufgewachsen in Bayern, jetzt wohnhaft in Eilenburg, und Peter Neßmann (Die Linke), 35, aus Leipzig, zählen zu den Jüngeren.

Einen hohen Bekanntheitsgrad genießt hingegen Autohausbesitzer Mike Kühne aus Bad Düben, der für die Freien Wähler ins Feld zieht. Der 57-Jährige präsentierte sich am Mittwoch als Unternehmer − und „Macher“. Und das würde er liebend gerne auch in Berlin zeigen. „Am Stammtisch wissen alle, wie es funktioniert. Ich aber will aufstehen und es wirklich angehen“, sagte er auf dem Forum.

Kühnes Kritik: In der Bundeshauptstadt sitzen viel zu viele Berufspolitiker an den Schalthebeln, ohne Lebenserfahrung, ohne echte Erfahrung im Job. Der Bundestag dürfe „keine Theaterbühne für Personen wie Habeck oder Baerbock“ sein − befeuerte er einen Konfliktpunkt des Abends. Das konnte nicht so stehen bleiben. Natürlich brauche es auch die Jugend, um Politik mit neuen Ideen und frischem Wind zu gestalten, kam es von den Nebenplätzen.

René Bochmann (AfD), ebenfalls aus Bad Düben, machte weitere „Baustellen“ auf. Er will, dass Deutschland wieder „vorrangig behandelt“ werde. „Ich möchte nicht, dass hier Brücken einstürzen, während in Peru mit deutschem Geld Radwege gebaut werden“, sagte er und erntete von seinen Sitznachbarn teilweise Kopfschütteln.

Die Stadt-Umland-Problematik war ein anderes Thema, das die Leute beschäftigte, eingebracht von der Bad Dübener Bürgermeisterin Astrid Münster (FWG). Die Politik der letzten Jahre sei zu sehr auf die Großstädte fokussiert gewesen, während der ländliche Raum an Attraktivität verliert, räumte Christiane Schenderlein (CDU) ein. Als Beispiel nannte sie das 49-Euro-Ticket. Es profitieren vor allem Fahrgäste in den Ballungsgebieten, während das Geld hier nicht mal mehr für die S-Bahnlinie S4 reicht. Bekanntlich soll die S4 künftig nur noch von Leipzig bis Torgau fahren − und nicht weiter nach Beilrode und Falkenberg/Elster, was zu Protesten führte. Das müsse sich wieder ändern.

René Bochmann legte nach: Man habe viel zu viele Summen in Prestigeobjekte wie Stuttgart 21 oder den Leipziger City-Tunnel „versenkt“, während es in der Fläche fehlt. Kai-Uwe Tüchler: „Wenn wir eine Stadt wie Falkenberg wegen 15 Kilometer Strecke abschotten, machen wir definitiv etwas falsch”, spielte er auf die Finanzlücke an. Dann ziehen junge Menschen, Ärzte, Gewerbetreibende gleich in die Großstädte, wo die Infrastruktur stimmt.

Beim Thema Mobilität mahnte Laurenz Frenzel an, dass der Erwerb eines Führerscheins mittlerweile bis zu 3000 Euro kostet, für junge Menschen eine riesige Last.

Beilrodes Bürgermeister René Vetter (parteilos) prangerte mit einem krassen Beispiel die überbordende Bürokratie in Deutschland an. Ein Arbeitsschutz-Beauftragter habe die Geschirrspül-Tabs in der Beilroder Kantine als Gefahrenstoff deklariert. Er solle eine Betriebsanweisung an seine Mitarbeiter richten, sonst drohe eine Anzeige. Ein Thema, das im Berufsalltag auch Unternehmer Kühne aufreibt. Denn der versprochene Bürokratie-Abbau im Land sei bislang nur eine Worthülse gewesen.

Beim Thema Migration kritisierte der Bad Dübener, dass ihm das Arbeitsamt noch keine Kräfte schicken konnte, die in der Lage sind, ein Rad zu wechseln. Wo bleiben die ausländischen Fachkräfte? – konterte er einen Vorstoß von Tüchler, der sich zuvor klar für Zuwanderung ausgesprochen hatte.

Um Punkt 19 Uhr beendete Moderator Reinboth die Diskussion im Mehrgenerationenhaus. „Ich finde es gut, dass solche Runden gemacht werden, damit man sich selber ein Bild von den Kandidaten machen und Fragen stellen kann“, so der Beilroder Dietmar Heinrich, der als Zuschauer dabei war. Es zeige aber auch, wie schwierig es sei, Demokratie frei zu leben. Er persönlich habe Vorschläge vermisst, wie es den Kandidaten gelingen kann, die tief gespaltene Gesellschaft im Land wieder zu vereinen.