„Wir haben keine drei Jahre Zeit“ – Forschungszentrum will früher starten

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Neue Infos beim Revierstammtisch: Start des Großforschungszentrum für Chemie in Delitzsch schon für 2024 anvisiert / Landkreis Nordsachsen plant eine S-Bahn-Anbindung

Delitzsch. „Ohne Chemie geht es nicht“, sagte Peter Seeberger in Delitzsch. Laut dem Gründer des „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC), das in den kommenden Jahren in Delitzsch entsteht, seien 97 Prozent der Produkte, die tagtäglich in den Haushalten landen, Chemieerzeugnisse. Die Chemie sei jedoch aktuell noch abhängig von fossilen Rohstoffen, zum einen als Energiequelle und zum anderen als Rohstofflieferant – die meisten chemischen Erzeugnisse entstehen aus Erdöl. Dies mache die Produktion anfällig für Krisen, die mit Preisanstiegen und Unsicherheiten in den Lieferketten verbunden sind.

Um die Wirtschaft in Deutschland zu sichern, sei es dringend notwendig, Ausgangsstoffe, Prozesse und Produkte neu zu denken und die chemische Industrie, in der bundesweit etwa 600 000 Arbeitskräfte beschäftigt sind, langfristig als Kreislaufwirtschaft zu etablieren, erklärte Seeberger, der auch Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam ist.

Welche Probleme und Chancen das für die Stadt, die Region und Mitteldeutschland haben könnte, diskutierte Seeberger beim Revierstammtisch in Delitzsch mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Michael Kretschmar (Ministerpräsident Sachsen, CDU), Barbara Meyer (Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung), Sebastian Gemkow (Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft, CDU) und Jutta Matreux (Werksleiterin bei der Wacker Chemie AG in Nüchritz). Für lokale Themen schalteten sich Kai Emanuel (Landrat Nordsachsen, parteilos), Henry Graichen (Landrat Landkreis Leipzig, CDU) und Manfred Wilde (Oberbürgermeister Delitzsch, parteilos) ein. Eine Übersicht der wichtigsten Fragen und Antworten.

▶ Wie war die Stimmung 
in Delitzsch?

Durchaus kontrovers. Es herrschte im voll besetzten großen Saal des Delitzscher Bürgerhauses sowohl Aufbruchstimmung als auch Skepsis. Neben der großen Strahlkraft und positiven Auswirkungen wurden auch kritische Fragen zum Verkehrsaufkommen, zur Fachkräftegewinnung und zum kontaminierten Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik an der Richard-Wagner-Straße gestellt, auf der das CTC entstehen soll.

 

▶ Was ist das CTC?

Ziel des Centers for the Transformation of Chemistry ist es, kostengünstige und nachhaltige Produktionsprozesse zu entwickeln, die hauptsächlich auf nachwachsenden Rohstoffen oder recycelten Materialien basieren. Dabei sollen höchste Arbeitsschutz- und Umweltstandards eingehalten und die Transportwege extrem verkürzt werden.

▶ Warum kommt das CTC nach Delitzsch?

„Es ist bewusst nicht Leipzig-City geworden“, sagte Ministerpräsident Kretschmer. Es sollte ein Ort sein, der ins Chemiedreieck gehört und gute Anbindung an Leipzig und Sachsen-Anhalt hat.

▶ Was bringt es Delitzsch 
und der Region?

Zunächst einmal Strahlkraft. Ein vergleichbares Vorhaben sei seit mehreren Jahrzehnten nicht in Deutschland umgesetzt worden, erklärte Kretschmer. Diese Strahlkraft wirke sich auch auf neue Arbeitsplätze aus. Diese werden nicht nur für die Forschung, sondern auf allen Ebenen gebraucht, ergänzte CTC-Gründer Seeberger. Zudem komme mit Peter Seeberger selbst eine Koryphäe nach Delitzsch, sagte etwa der ebenfalls anwesende Wirtschaftsbürgermeister Leipzigs, Clemens Schülke (CDU). Zudem erhält der Landkreis Nordsachsen erstmalig eine Einrichtung mit universitärer Ausbildung, sagte Landrat Emanuel.

 

▶ Gibt es genügend 
Arbeitskräfte?

Er verstehe nicht, weswegen dies in Deutschland derart negativ gesehen werde. Das CTC werde attraktiv genug sein, um ausreichend Arbeitskräfte zu bekommen, sagte Peter Seeberger. Sowohl aus der Region als auch aus dem Ausland. „Das ist nicht meine Sorge“, so Seeberger. Zudem werde das CTC eine Ausbildungsstätte sein.

▶ Wann legt das CTC los?

„Wir haben keine drei Jahre Zeit“, sagte Seeberger. Er will die Arbeit angesichts der Lage der Chemieindustrie bereits im August 2024 aufnehmen. Ziel war bisher das Jahr 2026. Damit würde sich die Zeit bis zum Start halbieren.

▶ Was wird der Verkehr 
in Delitzsch geregelt?

Hier sprangen Manfred Wilde und Kai Emanuel ein. Emanuel: Geplant sei eine S-Bahn-Station direkt am CTC. Die neue Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof Leipzig und dem Forschungszentrum laufe unter dem Arbeitstitel „S 21“. Diese könne in das bestehende S-Bahn-Netz eingetaktet werden, eine Weiche in Höhe Döbernitz sei möglich.

Wilde: Aktuell laufe die Planung für die Unterführung der Leipziger Straße unter die Bahnstrecke. Zuvor werden zwei Kreisverkehre gebaut: einer am fünfarmigen Knoten mit Leipziger, Richard-Wagner-, August-Bebel- und Elberitzstraße, der zweite an der Kreuzung S 4/Raiffeisenstraße/Bahnweg. Baubeginn des ersten Kreisverkehres soll in zwei Jahren sein.

▶ Wie gefährlich ist das Gelände und der Schlackeberg?

„Glauben Sie, dass wir blöd genug sind, uns den größten Dreckhaufen auszusuchen, den wir nie wieder saniert bekommen und der ein Wahnsinns-Geld kostet“, konterte Seeberger eine Anmerkung aus dem Publikum über die Vorgeschichte des Standorts. Er und das CTC-Expertengremium hätten sich als Chemiker das Gelände angeschaut und vermutlich besser als viele verstanden, auf was sie sich einlassen, so Seeberger. Dies sei in vollem Bewusstsein geschehen. Es sei mit geringem Aufwand möglich, den Schlackeberg zu beseitigen und einen innerstädtischen Arbeitsraum zu entwickeln.

▶ Kann das CTC scheitern?

„Nein“, sagte Seeberger. Dafür müssten Versprechen gebrochen und Gelder gestrichen werden. Daran glaube der Gründer aber nicht.