Zum Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine (Redemanuskript Kreisparteitag Oschatz)

Dr. Michael Friedrich, Vorsitzender Fraktion DIE LINKE

"Um es klar zu sagen: Ich bin kein Fan von Sarah Wagenknecht, die als Medien-Diva gerade dabei ist, unsere Partei zu spalten. Auch bin ich kein Fan von Alice Schwarzer. Dennoch habe ich das Friedensmanifest dieser beiden Frauen unterzeichnet und in meiner Umgebung dafür geworben, Gleiches zu tun. Schließlich geht es hier nicht um Personen, sondern um ein gutes Ziel, das die Bundespolitik leider fast völlig aus den Augen verloren hat:

Vorrang der Diplomatie vor immer neuen und schlimmeren Waffenlieferungen, Einfrieren des  verbrecherischen Aggressionskriegs Russlands gegen die Ukraine, Waffenstillstand als Zwischenziel für spätere Friedensverhandlungen.

Diese Forderungen sind keinesfalls naiv. Sie sind auch nicht unmoralisch. Ganz im Gegenteil, Diplomatie und Waffenstillstand, ja im Idealfall Friedensverhandlungen bedeuten doch keineswegs, dass wir damit dem Aggressor Putin entgegenkommen oder ihm gar die Hand reichen. Erst recht ist das keine Anerkennung der Annexion der überfallenen ukrainischen Gebiete oder gar eines von Russland erzwungenen Diktatfriedens.

Um zu überlegen, was jetzt richtig und das Gebot der Stunde ist, müssen wir doch vom Ende her denken. Auf dem Schlachtfeld gibt es seit Monaten eine militärische Pattsituation. Woche für Woche sterben Hunderte, wenn nicht gar Tausende Soldaten und Zivilisten. Russland ist weit davon entfernt, sein ursprüngliches Kriegsziel – die völlige Zerstörung der Eigenstaatlichkeit der Ukraine und deren imperiale Beherrschung – zu erreichen. Nach Einschätzung führender Militärexperten wird aber auch die Ukraine nicht in der Lage sein, auf absehbare Zeit dem von Selenskij ausgegebenen Kriegsziel – die Rückeroberung aller besetzten Gebiete einschließlich der Krim – näher zu kommen. Dafür hat die Ukraine schlicht zu wenig Personal, zu wenig Hinterland und Ressourcen, zu wenig Waffen und Munition, auch wenn der Westen noch so viele Leoparden und anderes schweres Gerät liefern wird.

Irgendwann geht jeder Krieg einmal zu Ende. Selbst beim 30-jährigen Krieg vor 400 Jahren mit dem Frieden von Münster oder am Ende des ersten Weltkriegs haben zum Schluss die Diplomaten das Sagen gehabt. Letzterer  hätte bereits im Jahr 1916 beendet sein können, denn auch damals gab es nur noch Stellungskrieg bei einem militärischen Patt. Dennoch sind  in jenem Jahr noch in den Schlachten an der Somme und in Verdun Millionen Soldaten auf beiden Seiten gefallen – völlig unsinnig und irrational, denn diese Kämpfe haben keiner Seite einen militärischen Vorteil verschafft. Muss sich dieser schlimme, Menschen verachtende Irrtum im Jahr 2023 wirklich wiederholen?

Unser Grundgesetz enthält ein eindeutiges Friedensgebot, nämlich die Verpflichtung, „dem Frieden in der Welt zu dienen.“ Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich war und ist es legitim, der überfallenen Ukraine reine Defensivwaffen wie zur Panzer- und Luftabwehr zu liefern und das überfallene Land humanitär und finanziell zu unterstützen. Dies erlaubt und gebietet die UN-Charta ausdrücklich. Doch längst geht es nicht mehr darum, sondern um kreuzgefährliche Offensivwaffen wie Panzerhaubitzen, Kampfpanzer, weitreichende Raketen. Schon wird über Kampfflugzeuge und U-Boote diskutiert, ja selbst über eine Flugverbotszone, was uns definitiv in den Krieg hineinziehen würde und die Gefahr eines atomaren Gegenschlags heraufbeschwört. Dass der ukrainische Präsident Selenskij solche Forderungen stellt, ist seine Sache und aus seiner Sicht nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar aber ist, dass wir uns früher oder später jede dieser ukrainischen Forderungen unkritisch zu Eigen machen und damit in die Gefahr geraten, selbst Kriegspartei zu werden.

Das Feld allein den Militärs und deren Befürwortern zu überlassen und ständig immer neue Eskalationsstufen zu bedienen führt in eine tödliche  Sackgasse. Ich bin überzeugt, solches Handeln ist unvernünftig und hochgradig gefährlich. Es geht doch vielmehr darum, dass die Diplomaten, allem voran Bundeskanzler Scholz und unsere Außenministerin Frau Baerbock, endlich ihren ureigensten Job machen und ähnlich wie China, Indien, Brasilien, Südafrika, Türkei u.a. zumindest versuchen, die starre Haltung von Putin und Selenskij aufzuweichen, statt über Panzerlieferungen zu jubeln, wie führende Grüne, CDU-, FDP-  und SPD-Spitzenleute.

Abschließend: Ich möchte, dass sich unsere Partei DIE LINKE bei aller Solidarität mit der überfallenen Ukraine und mit aller Kritik am autoritären, imperialen, ja zutiefst reaktionären und erzkapitalistischen Putin-Regime in Russland mit starker und einheitlicher Stimme für Diplomatie und Frieden ausspricht, dass wir parlamentarisch und außerparlamentarisch wirksamen Widerstand gegen die militärische Eskalationsspirale leisten!"