Arme Kinder

Michael Friedrich/Judith Sodann

Unnötigerweise leben viele Kinder in Armut, in Sachsen mehr als jedes Fünfte. Das hat heftige Auswirkungen auf Bildungschancen, auf Teilhabemöglichkeiten und auf die physische und psychische Gesundheit der Minderjährigen. Einer gesunden Entwicklung werden damit schwere Steine in den Weg gelegt, die oft lebenslang belasten. Wie ist das in Nordsachsen? Wir fragen nach:

Sehr geehrter Herr Landrat Emanuel,

die Lage vieler Kinder in Sachsen ist prekär. Mehr als jedes fünfte ist armutsgefährdet. Für Kinder Alleinerziehender ist der Prozentsatz mehr als doppelt so hoch, für Familien mit drei oder mehr Kindern liegt er bei über 30. Dabei ist der Bezug von Sozialhilfe bzw. Bürgergeld nicht der einzige Indikator für Einkommensarmut. Für unsere Anfrage definieren wir Kinderarmut als relative Armut der Eltern: Das Haushaltseinkommen beträgt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) aller Haushalte in Deutschland und Vermögenswerte sind nicht oder nur in sehr geringem Maß vorhanden.

Wir möchten wissen:

1.       Wie viele nordsächsische minderjährige Kinder (unter 18 Jahren) lebten nach oben genannter Definition in den Jahren 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022 in einkommensarmen Familien? Bitte jeweils in absoluten sowie prozentualen Zahlen darstellen.

2.       Wie viele Eltern in Nordsachsen mit minderjährigen Kindern bezogen in den Jahren 2018 – 2022 Sozialhilfe oder Hartz IV (Bürgergeld) und wie viele davon waren alleinerziehend? Bitte jeweils in absoluten sowie prozentualen Zahlen darstellen.

3.       Wie viele Eltern in Nordsachsen mit minderjährigen Kindern haben in den Jahren 2018 - 2022 andere Sozialleistungen beantragt? Bitte aufschlüsseln nach Anträgen auf Kinderzuschlag, Wohngeld, Mitteln aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.

4.       Welche Niedrigschwelligen Angebote gibt es für einkommensschwache Familien bzw. Alleinerziehende, um von den ihnen zustehenden Leistungen zu erfahren und sie in Anspruch zu nehmen?

5.       Nicht erst seit Erscheinen der Zweiten Sozialberichterstattung des Freistaats Sachsen 2022 oder dem „Factsheet Kinder- und Jugendarmut in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung vom Januar 2023 wird eine pauschale Kindergrundsicherung auf Bundesebene diskutiert. Wie steht die nordsächsische Landkreisverwaltung generell zu diesem Projekt, das Eingang in die Koalitionsvereinbarung der aktuellen Bundesregierung gefunden hat, aber aufgrund von Differenzen zur milliardenschweren Finanzierung noch immer nicht in den Bundestag eingebracht worden ist?

6.       Welche Konsequenzen erwartet der Landkreis durch die geplante Einführung einer Kindergrundsicherung

-          in sozialer Hinsicht, z.B. indem in armutsgefährdeten Familien und bei Alleinerziehenden ohne lästige Antragsverfahren mehr Geld den Kindern direkt zugutekommt,

-          in personeller Hinsicht, z. B. Einsparungen durch Bürokratieabbau und Vereinfachung von Verwaltungsstrukturen,

-          in finanzieller Hinsicht, z. B. Entlastung von sozialen Pflichtaufgaben als Beitrag zur Gesundung des Kreishaushalts?

 

Hintergrund:

Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2017) bestätigt, dass „der sozioökono-mische Status der Eltern immer noch entscheidende Auswirkungen auf Bildungswege und Schulerfolg“ hat und dass Bildungsungleichheit auf Armut zurückgeführt werden kann. Weitere Folgen sind, dass Kinder aus einkommensschwachen Haushalten öfter an psychischen Auffälligkeiten wie ADHS erkranken. Kinder und Jugendliche aus diesen Haushalten leiden doppelt so häufig, nämlich bis zu 20 Prozent, an Übergewicht, wie aus Haushalten mit mittleren und hohen Einkommen. Es gibt verschiedene staatliche Instrumente zur Minderung der Armut, aber: Viele Familien, die wegen geringen Einkommens einen Rechtsanspruch auf Leistungen haben, beantragen diese nicht: teils, weil sie sie nicht kennen, weil ihnen das System zu kompliziert ist oder weil sie nicht von staatlichen Leistungen abhängig sein wollen. Die Bundesregierung selbst hatte in der Vergangenheit geschätzt, dass nur 35 Prozent der leistungsberechtigten Familien den Kinderzuschlag beantragen. Bei Geringverdienenden, die ergänzend Bürgergeld erhalten können, betrage die Dunkelziffer bis zu 50 Prozent.

Laut der Geschäftsführerin der DGB Region Leipzig-Nordsachsen, Manuela Grimm, würde in Leipzig jedes vierte Kind von einer gut gemachten Kindergrundsicherung profitieren. (https://leipzig-nordsachsen.dgb.de/presse/++co++5e46b93a-f3cf-11ed-abd4-001a4a160123).

Für die Beantwortung obenstehender Fragen bedanke ich mich namens unserer Fraktion im Voraus.

Freundliche Grüße
Dr. Michael Friedrich