„Auch Kinder und Jugendliche haben Anliegen“ - Mindestalter unterscheidet sich bei den anstehenden Wahlen

Torgauer Zeitung

Nordsachsen. Soll man künftig schon mit 16 wählen dürfen? Wenn am 9. Juni in denselben Wahllokalen über die Stadt- und Gemeinderäte sowie den Kreistag und über das Europa-Parlament abgestimmt wird, ist die Situation für rund 3000 Jugendliche in Nordsachsen im Alter von 16 oder 17 kurios: Für die Kommunalwahl erhalten sie zwar keinen Stimmzettel, dafür dürfen sie bei der Europawahl erstmals ihr Kreuz machen.

„Mit 16 zu wählen – das hätte ich mir zu meiner Zeit auch gewünscht“, sagt Eric Nürnberger, 21-jähriger Vorsitzender des Jugendparlaments Delitzsch. „Welche Politik gemacht wird, hat Auswirkungen auf die Zukunft und betrifft damit nicht nur die Generation, die sich gerade damit auseinandersetzt, sondern auch diejenigen, die erst später erwachsen werden.“

Das sieht auch der Kinder- und Jugendring Sachsen (KJRS) so. Mit zwei Aktionen wirbt die Interessensvertretung junger Menschen aktuell dafür, das Wahlalter generell zu senken. Erstens sammeln die 47 Mitgliedsorganisationen in der Online- und Postkarten-Kampagne „16stimmt“ Argumente, die sie im August im Landtag abgeben möchten. Zweitens finden in vielen Kreisen und Städten symbolische U18-Wahlen statt: Ende Mai vor den Europa- und Kommunalwahlen sowie vor allem im August vor der sächsischen Landtagswahl dürfen nicht nur die 16- und 17-Jährigen, sondern alle unter 18 ankreuzen, wen sie wählen würden.

„Ich zeig Oma den Wahl-O-Mat, aber wählen darf ich nicht?!“, lautet eine der rhetorischen Fragen der „16stimmt“-Aktion. Anders als in Sachsen sind 16- und17-Jährige in elf Bundesländern bereits jetzt auf kommunaler Ebene wahlberechtigt, in sieben davon dürfen sie auch bei einer Landtagswahl abstimmen: „In Stuttgart dürfte ich wählen, aber in Dresden nicht?!“ Adressat der Kampagne ist vor allem die sächsische CDU. „Als einzige der größeren demokratischen Parteien im Freistaat positioniert sie sich gegen eine Absenkung des Wahlalters“, begründet KJRS-Sprecher Norbert Hanisch.

In der Tat schnitt die CDU in den vergangenen U18-Wahlen schlechter ab als bei den regulären Urnengängen. 2019 erhielt sie in Nordsachsen 13,9 Prozent und in ganz Sachsen 10 Prozent der U18-Stimmen, bei der Landtagswahl aber 32,1 Prozent. Stärkste Partei der U18-Wahl war in Nordsachsen die Linke mit 19,1 Prozent und waren in Sachsen die Grünen mit 27,2 Prozent. Gefolgt von der AfD: 17,6 Prozent in Nordsachsen, 15,5 Prozent in Sachsen. Zum Vergleich die Ergebnisse der Landtagswahl: AfD 27,5 Prozent, Linke 10,4 Prozent, Grüne 8,6 Prozent.

Die U18-Wahl ist vor allem ein Projekt der politischen Bildung. „Wir bräuchten in Nordsachsen allerdings noch viel mehr Angebote, damit sich die Kinder und Jugendlichen eine Meinung bilden können“, findet Janet Liebich, die in dem Landkreis das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ koordiniert. Auch die Fäden der U18-Wahl laufen bei der Sozialarbeiterin vom Diakonischen Werk Delitzsch/Eilenburg zusammen. In Nordsachsen wird es diese Möglichkeit jedoch erst im Vorfeld der Landtagswahl geben.

Wie gut eine U18-Wahl funktioniert, hängt vor allem davon ab, wie viele Jugendeinrichtungen als Wahllokale zur Verfügung stehen: Die Hürde, einen Stimmzettel auszufüllen, soll möglichst niedrig sein.

„Auch Kinder und Jugendliche haben Anliegen“, sagt Nürnberger. „Deswegen haben wir das Jugendparlament vor sechs Jahren gegründet.“ Mit einem Wahlrecht ab 16 wäre die Mitbestimmung in der Kommune womöglich größer als über den Umweg des Jugendparlaments, vermutet er. „In einer Demokratie können auch junge Menschen die Politik mitgestalten“, fügt er an. „Aber das haben viele Kinder und Jugendliche gar nicht auf dem Schirm.“

Ein Absenken des Wahlalters könnte das Signal aussenden, dass die Mitwirkung gefragt ist. Auch Sozialarbeiterin Liebich plädiert dafür. „Die jungen Menschen sollten viel mehr eingebunden werden“, sagt sie. „Denn es ist ihre Zukunft, über die wir entscheiden.“ Immerhin bei der Europawahl haben die 16- und 17-Jährigen jetzt ein echtes Wahlrecht.