„Der Diesel hat das Fass zum Überlaufen gebracht“

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Delitzsch/Eilenburg/Bad Düben.

Es ist kurz vor sechs am Montagmorgen. Steffen Rohrbach hat den Motor seines Traktors angelassen, die Maschine tuckert stoisch in die Eiseskälte auf dem PEP-Parkplatz in der Raiffeisenstraße in Delitzsch. Steffen Rohrbach hat den Fahrzeugfunk an, das Handy griffbereit. Er ist „Kolonnenführer DZ1“ an diesem Morgen des deutschlandweiten Bauernprotests.

Das heißt, der 43-Jährige wird die nächsten Stunden die circa 60 Fahrzeuge, darunter auch Transporter, Pkw und Lkw von Handwerksbetrieben, auf mehreren Runden durch die Stadt anführen. Der Korso DZ1 rollt durch die Delitzscher Innenstadt und über den Stadtring, Korso DZ2 zwischen Krostitz und Leipzig, unter anderem über Rackwitz und Brodau. Zeitgleich treffen sich etwa 60 Fahrzeuge – darunter Traktoren aber auch Lkw und Transporter – in Eilenburg und 50 in Bad Düben.

Heideland Agrar Bad Düben: Bis zu 75 000 Euro Mehrkosten

„Der Diesel hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht, es geht um das große Ganze“, sagt Steffen Rohrbach nach der ersten Runde von DZ1, als die LVZ zusteigen und eine Runde mitkommen darf. Seit fast 30 Jahren ist der Kolonnenführer nun schon Landwirt. Es seien Jahrzehnte verfehlter Agrar- und anderer Politik. „Aber ich will da nicht ins Detail gehen, heute soll es hier nicht politisch zugehen.“

Ähnlich sehen das Landwirt und Schäfer Sebastian Strehlitz aus Naschkau bei Schnaditz und Martin Hönemann von der Heideland Agrar AG Bad Düben. „Unser kleiner Betrieb mit drei Mitarbeitern besteht seit 1990. Wir betreiben Ackerbau, Landwirtschaft und Schäferei. Wir hoffen, dass unsere Aktion ankommt und etwas passiert“, so Strehlitz. „Wir sind mit mehreren Fahrzeugen und jeder Menge Slogans dabei. Wir haben einen Betrieb mit über 3000 Hektar. Da kommt an Geld schon ziemlich was zusammen. Durch die Maßnahmen aus Berlin hätten wir bis zu 75 000 Euro Mehrkosten. Das können wir alles nicht mehr stemmen“, so Hönemann.

1996 begann Steffen Rohrbach seine Lehre, viele Jahre arbeitete der Mann aus dem Delitzscher Ortsteil Schenkenberg in einem Betrieb in Sausedlitz. Um näher an seinem Wohnort zu sein, wechselte der Familienvater zu Landbau Schenkenberg mit Sitz in Rödgen. Es ist ein kleiner Betrieb mit Senior- und Juniorchef und neben Steffen Rohrbach nur noch einem weiteren Angestellten. 800 Hektar bewirtschaften sie, bauen vor allem Marktfrucht wie Raps und Getreide, aber auch Kartoffeln an.

Am 1. Mai 2024 wird Steffen Rohrbach vier Jahre in der kleinen Firma sein. „Ja, genau, ich habe zu einem Feiertag angefangen“, erinnert er sich, „der Chef brauchte mich an dem Tag, also bin ich da gewesen.“ Der Spruch sei nun mal wahr, dass sie als Landwirte nicht für eine bessere Work-Life-Balance oder mehr Geld demonstrieren würden, sondern nur dafür, ihren Job machen zu dürfen.

Landwirte beschweren sich über viel Bürokratie

„Mein Opa war schon Landwirt und mein Vater auch, das ist mein Traumberuf“, erzählt Steffen Rohrbach und schwärmt vom frischen Duft der Erde im Frühjahr. Den Nebenerwerb mit eigener Landwirtschaft auf 40 Hektar hat Rohrbachs Familie vor ein paar Jahren aber aufgegeben. „Das ist dicke fünf Jahre her, es ging so nicht mehr“, erzählt er, „es ist zu viel Bürokratie, das macht einen kaputt, erst recht, wenn man so ein kleiner Betrieb ist.“ Auf dem Schild vorne an Rohrbachs Traktor hängt ein Schild, das sein Vater schon vor fünf Jahren zu einer Demo in Berlin gemalt hatte: „Stellt uns auch unter Naturschutz, dann dürfen wir wenigstens leben“ steht darauf.

„Der Bürokratieaufwand ist immens, wir müssen alles dokumentieren“, erzählt auch Felix Bolte, der Juniorchef bei Landbau Schenkenberg. „Teilweise sind auf den Dokumenten Daten schon vorgedruckt und wir müssen die einhalten, ob wir können oder nicht“, berichtet der 32-Jährige. Doch auch für ihn ist und bleibt die Landwirtschaft ein Traumberuf. Er hat Agrarwissenschaften studiert, eine Weile hat er im Westen gearbeitet und ist nun seit anderthalb Jahren wieder in der Delitzscher Heimat, um den Betrieb des Vaters zu übernehmen und erfolgreich weiterzuführen. „Sind die Milliarden verschenkt in alle Welt, holt man sich des Bauern letztes Geld“ steht auf dem Schild an seinem Traktor.

Wie eine tuckernde, teils hupende Perlenschnur reihen sich die Traktoren und anderen Fahrzeuge hinter Steffen Rohrbachs Maschine auf. „Rennleitung“ nennen sie ihn manchmal am Funk. 10,5 km/h zeigt der digitale Tacho. Sie fahren über die Leipziger Straße in die Delitzscher City hinein, durch Bismarck- und Eisenbahnstraße über den Nordplatz auf die Bitterfelder Straße und schließlich wieder in Richtung PEP und dann auf den Stadtring. Und das wieder und wieder. Eine große Runde dauert circa zwei Stunden. Um 15 Uhr wird die Versammlung aufgelöst, geplant war ursprünglich 17 Uhr – so haben es Sachsens Verbände beschlossen, auch weil die Bevölkerung so viel Zuspruch und Verständnis zeige.

Das spiegelt sich auch darin wider, dass viele Handwerker die Bauernproteste unterstützen. So wie Baumkletterer Thomas Schmutzler aus Naundorf bei Krippehna. Er sagt: „Das betrifft uns schließlich alle. Die Probleme haben nicht nur die Bauern. Ich habe heute frei und bin mit auf Tour gegangen, um auf die miserable Situation aufmerksam zu machen.“ So sieht es auch Tankwart Uwe Werner in Bad Düben, der die Bauern mit heißem Kaffee und Bockwurst versorgt. „Hoffentlich bringt das auch alles etwas, wenn sie hier herumfahren. Notwendig war das ja mal“, sagt Werner.

„95 Prozent der Leute sind doch positiv gestimmt“

In Delitzsch kommen den Männern und Frauen meist Pkw, in denen die Daumen nach oben gehen, entgehen. Am Fahrbahnrand stehen Menschen und filmen den Protestzug, ebenfalls Daumen oder eine Kampffaust nach oben gereckt. In der August-Bebel-Straße hält mitten im Berufsverkehr in Richtung Innenstadt kurz nach 8.30 Uhr ein Pkw auf der gegenüberliegenden Straßenseite an. Der Mann steigt halb aus seinem Auto aus, gestikuliert und schimpft – zu verstehen ist er aber kaum. Weil er schnell wieder einsteigt, schafft es Steffen Rohrbach auch nicht mehr, ihm noch einen der Flyer in die Hand zu drücken, auf denen die Hintergründe der Demo erläutert sind. „Na ja, das war jetzt eine Ausnahme, 95 Prozent der Leute sind doch positiv gestimmt“, freut sich Steffen Rohrbach. Die beiden Korsos DZ1 und DZ2 tun auch einiges dafür. Sie wollen niemanden blockieren oder behindern, es geht ihnen nicht um Stillstand eines ganzen Landes. „Da kommt ein Bus, passieren lassen“, „Altenpflegerin unterwegs“ und ähnliches heißt es immer wieder am Funk, über den sich die Traktoren untereinander verständigen. Dazwischen fahren die Handwerksbetriebe, Funk haben die nicht, die Kommunikation zu ihnen läuft teils über Handy – oder eben einfach folgen. Ab und an reihen sich weitere Pkw ein, immer wieder tauchen neue Transporter mit Aufschriften zum Beispiel von Heizungsfirmen auf.

200 Fahrzeuge allein in Delitzsch

Weiter rollt der Tross über den Delitzscher Stadtring. Die Kinder der Landmäuse-Kita in Döbernitz schauen neugierig, über Funk verständigt sich der Korso ihnen eine Freude zu machen und viel zu hupen. An der Kreuzung am McDonald’s taucht links auf der B 184 der andere Korso DZ2 auf. Spontan wird wieder via Funk entschieden, sich zusammenzuschließen und nochmal eine Runde durch Delitzsch zu drehen – rund 200 Fahrzeuge sind es damit wahrscheinlich.

Zur Mittagspause kurz nach elf versammeln sich alle auf und rund um den PEP-Parkplatz. Nicht alle Maschinen passen dort drauf, die Hälfte etwa sortiert sich zu Pflanzen-Richter auf der anderen Straßenseite. Aus der Gulaschkanone gibt es heiße Kartoffelsuppe mit Bockwurst, Tee und Kaffee stehen bereit. Alle besprechen sich nochmal. DZ2 rollt 12 Uhr wieder in Richtung Leipzig, DZ1 macht noch zwei Delitzsch-Runden. Der Kolonnenführer ist zufrieden: „Alles lief ruhig und friedlich, alles gut organisiert und die Menschen haben Verständnis für uns alle, sie winken ja nicht nur unseren Traktoren, sondern auch dem Handwerk.“