Die Chemie wird in Delitzsch neu gedacht

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Das CTC will ab 2024 die Chemie revolutionieren. Die Stadt, der Freistaat Sachsen

und eine ganze Branche sehnen den Start herbei.

Das Großforschungszentrum wird Delitzsch verändern. Dort sollen Wissenschaftler Antworten auf die Frage finden, wie die Chemieindustrie weltweit neu gedacht werden kann. Delitzschs Oberbürgermeister Manfred Wilde (parteilos) hat die Entscheidung, das CTC in Delitzsch anzusiedeln, dementsprechend als „epochale Zäsur“ bezeichnet. Inzwischen nimmt der Bau des Forschungszentrums konkrete Formen an. So viel ist bisher bekannt.

▶ Wofür steht eigentlich CTC?

CTC ist die Abkürzung für „Center for the Transformation of Chemistry“. Das meint eine Umwandlung von chemischen Stoffen von der linearen zu einer Kreislaufwirtschaft, bei der Ressourcen wiederverwendet werden. Es geht darum, zu forschen, wie man künftig unabhängiger von fossilen Energien wird, den CO2-Ausstoß mindert und auch, wie man künstliche Intelligenz nutzen kann, um Aufwand zu reduzieren. Im Zentrum steht Forschung, nicht Produktion.

▶ Wann soll es losgehen?

Das CTC befinde sich aktuell in der dreijährigen Aufbauphase. In dieser werden erst viele Details konkretisiert und geklärt, was bis insgesamt 2038 alles entstehen soll. Die reine Forschungsarbeit soll möglichst zum Ende des Jahres 2024 erfolgen. Ursprünglich war 2026 Ziel. Die Basis wurde jetzt geschaffen. Der Freistaat Sachsen finanziert die Planung des CTC-Campus-Baus. Am 9. August sicherte Thomas Schmidt (CDU), Sachsens Minister für Regionalentwicklung, der Stadt Delitzsch 228.000 Euro zu.

▶ Wer bezahlt das alles?

Neben der Finanzierung der Planung finanziert der Bund bis 2038 das Großforschungszentrum mit mehr als 1,1 Milliarden Euro. Jährlich wird das Großforschungszentrum mit bis zu 170 Millionen Euro vom Bund gefördert. Das CTC wird zu 90 Prozent vom Bund, zu sieben Prozent von Sachsen und zu drei Prozent von Sachsen-Anhalt gefördert.

Hintergrund: Im 2020 in Kraft getretenen Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen war die Gründung je eines Großforschungszentrums im Lausitzer Revier und im Mitteldeutschen Revier verankert worden – im Herbst 2022 bekam das Delitzscher Projekt den Zuschlag. Im Lausitzer Revier entsteht mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik das zweite Großforschungszentrum. Als Standort ist Görlitz vorgesehen.

▶ Wie viele Jobs entstehen?

Es sollen durch das CTC in den kommenden Jahren direkt in Delitzsch etwa 700 Jobs entstehen, 300 an einem weiteren Standort in Sachsen-Anhalt. Die Standorte in Sachsen und Sachsen-Anhalt werden von Delitzsch aus verwaltet. Insgesamt eine Beschäftigtenzahl von rund 1000, tendenziell eher sogar 1100 Menschen ist für das große Ganze die Perspektive. Das betrifft direkte CTC-Arbeiten, aber auch drum herum sollen zahlreiche Stellen entstehen.

An der Konzeption des CTC-Forschungsprogramms arbeiten bereits jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bis zu 30 Personen sollen es Ende 2023 sein.

▶ Labore, Thinktank oder Produktion?

In den kommenden Monaten soll das Forschungskonzept für das CTC erarbeitet werden. Dazu, so Rebecca Schweier, die im Delitzscher Team für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, werden auch temporäre Labore benötigt. Ob diese zukünftig in Delitzsch oder in einer anderen Stadt stehen werden, sei noch nicht entschieden. Sie könnten auch in Leuna, Merseburg oder Bitterfeld entstehen. Das CTC in Delitzsch soll aber kein reiner Thinktank, also keine Denkfabrik werden, sondern ein sehr anwendungs- und transferorientiertes Forschungszentrum, betonte Schweier.

▶ Wo und was wird gebaut?

Konkret sind für den CTC-Campus die Flächen zwischen der Richard-Wagner-Straße und der Fabrikstraße sowie die Flächen südlich der Bahnlinie zwischen Eilenburg und Halle bis zur Bundesstraße 184 – insgesamt rund 72 Hektar – reserviert. Ziel ist es, einen zusammenhängenden Campus mit entsprechender Infrastruktur zu schaffen. Nördlich der Bahnlinie soll auf etwa zwei Dritteln der Fläche das eigentliche CTC entstehen. Im Umfeld sollen Flächen für Unternehmen zur Verfügung stehen, die sich aus dem Forschungszentrum heraus entwickeln.

▶ Was passiert mit Altlasten und Zuckerfabrik?

Nicht alles wird abgerissen. Alte Backsteingebäude zum Beispiel oder auch die Esse sollen nach derzeitiger Planung stehen bleiben und in die künftige Gestaltung integriert werden. Der Schlackeberg soll natürlich beseitigt werden.

▶ Welche Infrastruktur entsteht drumherum?

Um das vermutlich steigende Verkehrsaufkommen zu regeln, laufe aktuell die Planung für die Unterführung der Leipziger Straße unter die Bahnstrecke, sagte Delitzschs Oberbürgermeister Manfred Wilde. Zuvor werden zwei Kreisverkehre gebaut: einer am fünfarmigen Knoten mit Leipziger, Richard-Wagner-, August-Bebel- und Elberitzstraße, der zweite an der Kreuzung S 4/Raiffeisenstraße/Bahnweg. Baubeginn des ersten Kreisverkehrs soll in zwei Jahren sein.

▶ Wozu braucht es den Zweckverband?

Der „Zweckverband Großforschungszentrum CTC – Center for the Transformation of Chemistry“ (kurz: ZV CTC) wurde gegründet, um den erforderlichen Kauf von Flächen und deren Erschließung für das Großforschungszentrum zu regeln, erklärte Landrat Kai Emanuel. Perspektivisch soll der Verband auch die Ansiedlung von weiteren Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben rund um das CTC fördern. Geplant ist, dass das Grundstück – das Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik in Delitzsch – sowie Gebäude des künftigen CTC Eigentum des Freistaates Sachsen werden. Hier kommt der Zweckverband ins Spiel. Dieser erwirbt zunächst das Areal vom privaten Eigentümer und verkauft dann die Fläche an den Freistaat. Verbandsmitglieder werden der Landkreis und die Stadt Delitzsch.

▶ Wird es einen S-Bahn-Haltepunkt geben?

Dazu äußerte sich bereits Nordsachsens Landrat Kai Emanuel (parteilos): Geplant sei eine S-Bahn-Station direkt am CTC. Die neue Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof Leipzig und dem Forschungszentrum laufe unter dem Arbeitstitel „S 21“. Diese könne in das bestehende S-Bahn-Netz eingetaktet werden, eine Weiche in Höhe Döbernitz sei möglich.

▶ Steht das CTC-Gelände auch offen für Bürgerinnen und Bürger?

Geht es nach CTC-Architekt Hubert Juranek, wird es auf dem Campus Bereiche für Start-up-Center, Büros, Entwicklung und Industrieansiedlung geben. Das stehe aber noch nicht fest. Auch Flächen für Hotels oder Ähnliches seien angedacht. In der Mitte des Geländes soll nach den Vorstellungen des Architekten das Forschungszentrum mit einem Marktplatz liegen, mit dem Professor Peter Seeberger den Anfang macht. Der Campus soll später völlig offen sein – ohne Zäune.

▶ Werde ich als Bürger mitgenommen?

Es gibt und gab bereits Veranstaltungen zum Thema Großforschungszentrum. So informierte der Freistaat Sachsen im März während des sogenannten Revierstammtisches in Delitzsch. Die nächste Diskussionsrunde hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung initiiert. Während einer Podiumsdiskussion am 26. September wollen Peter Seeberger, Gründungsdirektor des CTC und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut Potsdam, Thomas Kralinski, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, sowie Holger Mann, SPD-Bundestagsabgeordneter, mit Gästen diskutieren. Adrian Schneider von der SPD Delitzsch übernimmt die Moderation.