„Essen oder Heizen?“: Wohnungsverbände sehen in Energiepreisen sozialen Sprengstoff

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Kostenanstieg kann Hunderte Euro pro Monat betragen. Vorauszahlungen sollen kurzfristig steigen. Die großen Vermieter Mitteldeutschlands erwarten „soziale Unruhen“ aufgrund der extrem steigenden Energiekosten.

Zum Beispiel müsse eine kommunale Wohnungsgesellschaft in Sachsen-Anhalt jetzt die Betriebskostenvorauszahlungen für ihre Haushalte um durchschnittlich 160 Euro pro Monat erhöhen, berichtete Jens Zillmann vom Verband der Wohnungswirtschaft (VDW) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Leipzig. „Das sind fast 2000 Euro im Jahr für eine kleine Familie. Die Situation ist wirklich besorgniserregend.“

Zuschuss der Bundesregierung: Da fehlt eine Null

Grund des Anstiegs in diesem Fall sei die Beendigung eines Gasliefervertrages gewesen. In Zukunft betrage der Arbeitspreis pro Kilowattstunde Gas fast das Dreifache. Aber auch vielen anderen Wohnungsunternehmen gehe es ähnlich, zumal die Preise für Strom und Fernwärme seit vergangenen Herbst ebenfalls nie dagewesene Höhen erklommen hätten, sagte Zillmann weiter. „Wenn die Bundesregierung jetzt einen einmaligen Heizkostenzuschuss von 270 Euro für einen Wohngeldempfänger zahlen will, fehlt aus unserer sozialen Betrachtung bei dieser Summe eine Null. Und der Zuschuss sollte alle Haushalte erreichen, die keine hohen Einkommen haben – nicht nur die Wohngeldempfänger.“

In Thüringen gebe es bereits Regionen, in denen die Fernwärmekosten für eine 60-Quadratmeter-Wohnung von 600 Euro pro Jahr auf 1600 Euro davongezogen sind, pflichtete sein dortiger Verbandskollege Frank Emrich bei. „Was wir jetzt besprechen, sind existenzielle Fragen. Es kann durchaus sein, dass einige Haushalte bald vor der Frage stehen: Essen oder Heizen.“ Das Problem werde von den meisten Bürgern noch verdrängt, weil sie die volle Wucht der neuen Preise erst mit der nächsten Betriebskostenabrechnung im Jahr 2023 vor Augen geführt bekommen. Emrich: „Hier liegt sozialer Sprengstoff. Dann gehen die Menschen auf die Straßen, weil das nicht mehr bezahlbar ist.“

„Energiekonzerne streichen Rekordgewinne ein“

Rainer Seifert, Verbandsdirektor beim VDW Sachsen, rechnete vor, dass das jüngst vergrößerte Entlastungspaket der Bundesregierung noch immer viel zu klein sei. Außerdem betonte er, die Preisexplosion habe nur sehr wenig mit dem Putin-Krieg gegen die Ukraine zu tun. „Im vergangenen Jahr kamen 26 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland aus Erdgasimporten. 41 Prozent stammten aus erneuerbaren Quellen, die restlichen 33 Prozent im Wesentlichen aus Braunkohle und Kernenergie.“ Dennoch habe eine Verteuerung von Gas am Weltmarkt ab Oktober zu drei- bis viermal höheren Strompreisen an den Handelsbörsen geführt. „Die Energiekonzerne streichen Rekordgewinne ein und der Staat kassiert über seine Steuern noch mit“, kritisierte Seifert. Gleiches gelte für die künstlich an den Gaspreis gekoppelten Fernwärmepreise. Das Börsensystem habe lange funktioniert, aber jetzt funktioniere es nicht mehr. Deshalb müsse die Bundesregierung es zumindest zeitweilig außer Kraft setzen, außerdem die Steuern und Abgaben drastisch senken, um nicht soziale Unruhen zu riskieren.

1,2 Millionen Wohnungen in Mitteldeutschland

Leidtragende seien Verbraucher und Vermieter, merkte Ronald Meißner vom Verband der Wohnungsgenossenschaften in Sachsen-Anhalt an. „Wir müssen bei der Heiz- und Betriebskostenabrechnung wie ein Inkasso-Unternehmen für die Energieversorger auftreten. Wir werden jetzt kurzfristig Betriebskosten-Vorauszahlungen anpassen, wenn sie in keinem Verhältnis mehr zu den realen Preisen stehen.“ Dennoch blieben die Wohnungsunternehmen absehbar auf hohen Beträgen sitzen. Wegen vergleichsweise geringeren Anhebungen der Kaltmieten seien in Deutschland Kappungsgrenzen verordnet und Enteignungen diskutiert worden, so Meißner. „Nun geht es bei den Energiekosten um viel höhere Belastungen. Aber da höre ich solche Diskussionen nicht.“

Mirjam Luserke vom Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften fasste den Standpunkt der Verbände, die über 1,2 Millionen Wohnungen in Mitteldeutschland verfügen, zusammen. „Die Versorgungssicherheit steht für uns an oberster Stelle. Wir werden niemanden rauswerfen, weil er seine Betriebskosten nicht zahlen kann.“ Jedoch bräuchten die Vermieter in Ostdeutschland dringend auch selbst mehr Unterstützung, um die Probleme zu lösen, die ihnen vom Staat weitergereicht werden. Da gehe es etwa um „überambitionierten Klimaschutz“, explodierende Baupreise und zu geringe Wohnkostenerstattungssätze für sozial schwache Haushalte. Letztere müssten nicht nur wegen der Energiepreise schnellstens ebenfalls steigen.

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