Immer mehr Asylsuchende: Landratsamt plant weitere Unterkünfte

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Die Unterbringung von Geflüchteten gestaltet sich immer schwieriger, da die aktuellen Kapazitäten nahezu ausgeschöpft sind. Mit einer neuen Unterbringungsstrategie will der Landkreis gegensteuern.

Die steigende Anzahl von Asylsuchenden stellt den Landkreis Nordsachsen vor große Herausforderungen. Das Landratsamt hat jetzt eine Strategie entwickelt, wie die Menschen künftig untergebracht werden sollen. Der Kreistag hat dazu am Mittwoch die Fortschreibung des Konzeptes zur Integration von geflüchteten Menschen mehrheitlich beschlossen. Geplant sind weitere Gemeinschaftsunterkünfte und eine landkreiseigene Erstaufnahmeeinrichtung. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Wie viele Asylsuchende hat der Landkreis in diesem Jahr aufgenommen?

Bis Anfang Oktober waren es 569 Menschen. Diese kommen aus verschiedenen Ländern, unter anderem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Das Landratsamt rechnet damit, dass es bis Jahresende um die 884 Personen sein werden. Das Amt für Migration und Ausländerrecht ging noch im Sommer davon aus, dass die Zahl bis zum Jahresende auf 1500 Geflüchtete anwächst. Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine sind hier nicht berücksichtigt. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren 465 Asylsuchende aufgenommen worden, 2021 waren es 314. Die bislang meisten Asylsuchenden (1620 Menschen) wurden 2015 aufgenommen, gefolgt vom Jahr 2016 mit 715 Menschen. Derzeit leben nach Angaben von Landrat Kai Emanuel (parteilos) etwa 13 000 Menschen ausländischer Herkunft in Nordsachsen.

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Wie bewertet das Landratsamt die Situation?

Bis Ende 2021 seien „die Zuweisungen in den Landkreis auf einem relativ übersichtlichen Niveau“ geblieben, schreibt die Behörde in ihrer aktuellen Unterbringungsstrategie. Und weiter heißt es: Innerhalb der letzten 18 Monate habe „sich jedoch ein verstärkter, nicht abreißender Zustrom geflüchteter Menschen aus Drittstaaten in Deutschland manifestiert“.

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Was sind die Gründe dafür?

Hier führt das Landratsamt den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und infolgedessen die Zuflucht der Menschen nach Deutschland an. Bis Ende September lebten in Nordsachsen mehr als 2200 geflüchtete Ukrainer. Der Landkreis rechnet mit weiteren 450 Zuweisungen bis Jahresende.

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Wo sind die Geflüchteten untergebracht?

Die Ukrainer leben überwiegend in eigenen Wohnungen – und zwar sind das 1623 Personen (75 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge). In den 138 vom Landratsamt angemieteten Wohnungen leben 430 Ukrainer. Somit sind 93 Prozent der in Nordsachsen lebenden Flüchtlinge aus der Ukraine dezentral untergebracht, lediglich 149 Menschen befinden sich in zwei zentralen Einrichtungen (Stand: Anfang Oktober 2023).

Bei den Asylbewerbern und Geduldeten leben 1131 Menschen in 393 vom Landratsamt gemieteten Wohnungen. Des Weiteren sind Asylbewerber in den neun zentralen Einrichtungen in Nordsachsen untergebracht. Diese befinden sich in Cavertitz/Bucha (71 Plätze), Dahlen (59), Delitzsch (224), zwei in Oschatz (175), in Torgau (80), Wiedemar (60), Rackwitz (26) und seit Kurzem auch in Eilenburg (94).

Bislang hat der Landkreis nach eigenen Angaben mithilfe der Kommunen, ehrenamtlichen Helfern und Vermietern seiner Pflicht zur Unterbringung von Geflüchteten nachkommen können, doch die Situation ist nicht einfach.

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Was sind die Probleme bei der Unterbringung?

Das ist zum einen die weitere Akquise von Wohnungen, weil der nordsächsische Wohnungsmarkt als angespannt gilt. Ein weiterer Punkt: Von den mehr als 2000 Plätzen werden knapp 20 Prozent durch sogenannte „Fehlbeleger“ blockiert. „Fehlbeleger“ sind geflüchtete Menschen, die ein dauerhaftes oder zumindest längeres Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, aber trotzdem in staatlichen Asylunterkünften bleiben, weil sie keinen anderen Wohnraum finden. Dies betrifft in der Regel bereits anerkannte Flüchtlinge – und sollte so nicht sein.

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Welche Prognosen gibt es hinsichtlich des Asylbewerber- aufkommens?

Berechnungen zufolge wird der Landkreis bis Ende 2024 etwa 1987 Asylbewerber unterbringen müssen, bis Ende 2025 könnten es 2474 Menschen sein. In den Folgejahren steigt die Zahl weiter. Grundlage ist die derzeit diskutierte Aufnahmeobergrenze von 200 000 Asylsuchenden pro Jahr in Deutschland. Bei 350 000 Asylsuchenden pro Jahr würde Nordsachsen jährlich 852 Flüchtlinge zugewiesen bekommen. Für letzteres Szenario gäbe es nicht die erforderlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Denn schon jetzt seien „die derzeitigen Kapazitäten des Landratsamtes zur Unterbringung von weiteren Schutz suchenden Menschen nahezu ausgeschöpft“, so die Behörde. Insbesondere die zentralen Unterkünfte sind ausgelastet.

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Wie will der Landkreis bei der Unterbringung von Asylbewerbern vorgehen?

Ab Januar soll zunächst die Gründung einer Koordinierungsgruppe „Fehlbeleger“ erfolgen, die sich aus Vertretern des Landratsamtes und je einem Vertreter der Städte und Gemeinden zusammensetzt. Die Gruppe soll mit der Suche nach geeigneten Orten für weitere Gemeinschaftsunterkünfte sowie für die entsprechende Anschlussunterbringung von den anerkannten Asylbewerbern („Fehlbelegern“) beginnen. Denn es soll vermieden werden, dass diese Menschen in die Obdachlosigkeit geraten. Außerdem: Innerhalb von zwei Jahren sollen mindestens zwei neue Gemeinschaftsunterkünfte errichtet sein. Die restlichen Gemeinschaftsunterkünfte sollten bis Ende 2026 ihren Betrieb aufnehmen.

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Um wie viele Unterkünfte handelt es sich?

Konkret sieht die Unterbringungsstrategie des Kreises die Schaffung von fünf weiteren Gemeinschaftsunterkünften vor: zwei für Fluchtgemeinschaften, eine für allein reisende Männer mit Bleibeperspektive sowie zwei allgemeine, jeweils mit einer Kapazität von ca. 150 Plätzen sowie je 50 Plätzen in Stand-By-Modus. Diese sollen bis Ende 2026 stehen. Außerdem soll innerhalb eines Jahres eine landkreiseigene Erstaufnahmeeinrichtung für die Durchführung eines sogenannten Clearingverfahrens geschaffen werden. Dabei handelt es sich um eine reine Durchgangsunterkunft, in der die Asylbewerber lediglich zwei bis vier Wochen bleiben sollen. Wo die Unterkünfte errichtet werden sollen, ist noch unklar.

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Was versteht man dabei unter Clearing-Verfahren?

Das ist ein Prüfverfahren, das auf neu zugewiesene Asylbewerber angewendet wird. Ziel ist es, ihre Bleibeperspektive festzustellen. So will der Landkreis bereits vor Ausgang des Asylverfahrens Personen mit einer Bleibeperspektive frühzeitig mit den notwendigen Integrationsleistungen fördern. Das soll auch zu mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort führen. Zudem sollen in den Gemeinschaftsunterkünften die Angebote zur freiwilligen Ausreise sowie die Rückführung von Personen ohne Aufenthaltsrecht, die ihrer Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachkommen, verstärkt werden. Letzteres ist jedoch Sache der zentralen Ausländerbehörde des Freistaats.

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Was will der Landkreis unbedingt vermeiden?

„Ich will in Nordsachsen keine Zeltstädte und keine belegten Turnhallen“, sagte Landrat Emanuel vor den Kreisräten. Auch Container-Lösungen zur Unterbringung sollen vermieden werden.

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Welche Rollen spielen die Kommunen?

Das Landratsamt setzt weiter auf die Kooperation der Städte und Gemeinden im Landkreis – vor allem bei der Schaffung von Unterkünften und bei der Integration von anerkannten Asylbewerbern. Die Integration der Flüchtlinge sei laut Emanuel dann der nächste Schritt, womit sich Landratsamt und Kommunen intensiv befassen müssten.

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Wie steht der Kreistag zu den Plänen?

Wie eingangs erwähnt, haben die Kreisräte die Pläne mehrheitlich beschlossen. Erwartungsgemäß hat die Kreistagsfraktion der AfD – der sächsische Verfassungsschutz hat den Landesverband der AfD erst dieser Tage als „gesichert rechtsextremistisch“eingestuft – gegen die Fortschreibung des Konzeptes gestimmt. Eine öffentliche Erklärung gab es nicht.

Die Linksfraktion hat sich bei der Abstimmung enthalten. Fraktionschef Michael Friedrich erklärte, dass es wichtig sei, die in Nordsachsen ankommenden Flüchtlinge „nicht als lose Nummer oder Zahl zu behandeln, sondern als Menschen“. Eine „Vorsortierung“, so wie es in der geplanten landkreiseigenen Gemeinschaftsunterkunft perspektivisch vonstattengehen würde, sei „nur bedingt leistbar“.

Bad Dübens Bürgermeisterin und Kreisrätin Astrid Münster (WVN/FDP-Fraktion) hält die neue Strategie indes für „sehr gelungen. Die Aufgabe steht, wir haben uns dazu bekannt“, sagte sie. Gleichwohl werde ihrer Meinung nach die Schaffung von fünf weiteren Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis „nicht ohne Diskussionen ablaufen“.

Hauptproblem wird gewiss werden, geeignete Standorte in Nordsachsen zu finden, die nicht auf Ablehnung in der Bevölkerung stoßen wie zuletzt beispielsweise in der Gemeinde Mockrehna. Dort sollte eine Flüchtlimgsunterkunft im ehemaligen Muna-Depot in Strelln eingerichtet werden. Dazu kam es dann nicht.