Integration in Sachsen: „Wir sind dabei, das zu schaffen“

LVZ, Delitzsch-Eilenburg. A. Dunte

Fünf Jahre nach dem berühmten Satz von Kanzlerin Angela Merkel spricht Klaus-Peter-Hansen, Landeschef der Arbeitsagentur, von einem Marathon.

Leipzig. Die Integration von Flüchtlinge wird ein Marathon in Sachsen. „Wir sind dabei, es zu schaffen“, sagt Klaus-Peter Hansen, der Chef der Landesarbeitsagentur Sachsen, im LVZ-Interview.

Herr Hansen, „Wir schaffen das!“ – das war vor fünf Jahren das Credo von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), als Tausende Geflüchtete nach Deutschland kamen. Hand aufs Herz: Ist in Sachsen die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen?

Ich habe immer betont, dass das ein Marathon werden wird und kein Sprint – schließlich sind zu uns Menschen aus einem anderen Kulturkreis gekommen, die eine andere Sprache sprechen und die es schon von daher schwer haben, hier Fuß zu fassen. Wir sind mitten in diesem Marathon, nicht im Ziel. Aber die Kanzlerin hatte auf jeden Fall recht gehabt, als sie sagte: „Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“

Wie meinen Sie das?

Ich interpretiere das so, dass Inte- dgration nur gelingt, wenn wir mit dem Motiv ans Werk gehen, es auch schaffen zu können. Wir sind mit diesem Leitgedanken an die Arbeit gegangen und haben die Herausforderungen angepackt – das war gut und hat viele Erfolge gebracht. Oder anders gesagt: Wir sind dabei, es zu schaffen.

Können Sie das mit Zahlen untermauern?

2015 hatten wir knapp 80 Auszubildende aus den acht häufigsten Asylherkunftsländern, vergangenes Jahr waren es über 1300. Im Jahr 2015 waren aus diesen Ländern gerade einmal 1300 Menschen in Sachsen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Heute sind über 9600 in Arbeit. Dazu kommen weitere knapp 1800 Minijobber. Damit steht Sachsen auch bundesweit nicht schlecht da. Deutschlandweit liegt die Beschäftigungsquote von Geflüchteten bei 27,6 Prozent, in Sachsen sind es 24,9 Prozent. Hamburg liegt mit 32,3 Prozent ganz vorn.

Hört sich nach einem Ost-West-Gefälle an?

So ist es aber nicht. Nordrhein-Westfalen hat mit 23,1 Prozent beispielsweise eine geringere Beschäftigungsquote als Sachsen. Auch Thüringen liegt mit 27,4 Prozent über den Werten westdeutscher Länder.

Nicht um Wasser in den Wein zu gießen, sondern um die Zahlen auch einordnen zu können: Wie hoch ist die Arbeitslosenquote unter den Asylsuchenden?

Sie gießen zu recht Wasser in den Wein. Denn vergangenes Jahr lag die Arbeitslosenquote unter den Menschen aus Asylherkunftsländern bei 40,6 Prozent und ist damit um ein Siebenfaches höher als die aller Sachsen. Dennoch gibt es Fortschritte: 2015 lag die Quote noch bei 65 Prozent. Und noch etwas ist in diesem Zusammenhang wichtig. Dass die Quote nicht stärker gesunken ist, liegt auch daran, dass in den fünf Jahren die Anzahl der Asylsuchenden gestiegen ist, die überhaupt als arbeitsfähig gelten.

Sie sind damit auch berechtigt, Geldleistungen zu beziehen. Was halten Sie von dem Vorwurf, dass sie damit die Sozialsysteme belasten?

Sie erhalten berechtigt Geld aus den Sozialsystemen wie andere auch. Das ist aber nur die eine Seite. Denn zugleich gelten sie als arbeitsfähig und somit könnten sie rechtlich wie jeder andere auch einer Arbeit in Deutschland nachgehen. Unsere Erfahrung ist genau die: Menschen, die bei uns Asyl suchen, wollen auf eigenen Füßen stehen, um ihre Familie zu ernähren und um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Natürlich erfordert die Integration von Flüchtlingen jede Menge Engagement, Flexibilität, Geduld und auch zusätzliche Investitionen. Doch das sind Investitionen in Menschen und deren Bildung, die sich langfristig rechnen.

Hat Corona der Integration geschadet?

Corona hat den gesamten Arbeitsmarkt getroffen, vor allem aber die Jugend und damit auch viele Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die Unsicherheit in einigen Branchen hat dazu geführt, dass Lehrlinge nicht übernommen wurden und leider nicht jeder Arbeitsplatz durch Kurzarbeitergeld gesichert werden konnte. Bei den Entlassungen waren vor allem die Neueinsteiger im Betrieb betroffen – wer zuletzt an Bord kam, musste als erstes gehen. Geflüchtete haben in Corona-Zeiten zudem ein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden.

Obwohl immer mehr Flüchtlinge einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, liegen ihre Verdienste weit unter denen aller Beschäftigten. Warum ist das so?

Die letzten Migranten, die wir in Arbeit vermitteln können, werden Rechtsfachangestellte sein. Was ich damit sagen will: Solange Flüchtlinge nicht oder nicht ausreichend unsere Sprache sprechen, werden sie wahrscheinlich eher in Helfertätigkeiten, handwerkliche Jobs und einfache Dienstleistungen vermittelt. Das sind oft die Bereiche, in denen im Durchschnitt weniger verdient wird – oft nah am Mindestlohn. Für viele ist das aber ein Anfang – ein erster Schritt in den Arbeitsmarkt. Viele Menschen mit Fluchthintergrund gehen eher Arbeiten nach, in denen es nicht ganz so sehr auf die sprachliche Vielfalt ankommt. Sie lernen im Job weiter – durch den Umgang mit Kollegen und festigen nebenher ihre Sprachkenntnisse.

Oft mangelt es nicht nur an Sprachkenntnissen, sie haben keine oder nur eine geringe Qualifikation?

Das stimmt. Mehr als 50 Prozent, die zu uns kommen, hatten in ihrem Heimatland keine Chance auf eine Ausbildung. Man schaue sich nur die Dauer der Konflikte etwa in Syrien an. Da reden wir von einer fast zehn Jahre andauernden bewaffneten Auseinandersetzung. Das Bildungssystem ist komplett zusammengebrochen. An Biografien wie bei uns ist da nicht zu denken. Die Menschen kommen mit nichts zu uns, außer mit guten Kopfnoten und Motivation. Sie wollen sich qualifizieren, holen ihre Abschlüsse nach. Wir helfen dabei – mit zunehmendem Erfolg. Wir haben im aktuellen Ausbildungsjahr über 800 Jugendliche aus den Asylherkunftsländern, die eine betriebliche Ausbildung beginnen möchten, die dazu sprachlich und intellektuell in der Lage sind. 2015 hatten wir so gut wie keinen. Das zeigt, dass sich Sprachkurse und Schulvorbereitung auszahlen. Über 400 dieser Jugendlichen haben übrigens schon einen Ausbildungsvertrag in der Tasche.

Viele Asylsuchende beziehen Hartz IV – die Zahlen sind steigend. Was sind dafür die Gründe?

In Sachsen sind mehr als die Hälfte der Menschen aus den Asylherkunftsländern auf Geld vom Jobcenter angewiesen. Ich bin der Auffassung, dass die Grundsicherung, dazu gehören auch Hartz-IV-Leistungen, immer dann greifen muss, wenn der Bedarf gegeben ist. Reicht in einer Familie das erwirtschaftete Einkommen nicht aus, dann springt die Grundsicherung ein. Schon aus meiner Zeit als Chef des Jobcenters in Berlin-Neukölln weiß ich, dass die Bedarfsgemeinschaften von Menschen mit Migrationshintergrund doppelt so groß sind wie die von Einheimischen. Menschen aus den Asylherkunftsländern beziehen auch viermal länger Hartz-IV als andere. Und das aus dem Grund, weil ihr Verdienst meist geringer ist. Auf den Chefarzt aus Syrien, der mit dem Flieger zu uns gekommen ist und jetzt in einem Krankenhaus arbeitet, trifft das sicher nicht zu. Aber die meisten mussten über die Balkanroute flüchten und sind ungelernt. Sie haben einen ungleich schwereren Start bei uns.

Wie viel Einkommen müsste der Vater oder die Mutter einer vierköpfigen Familie erzielen, um ohne Grundsicherung auszukommen?

Der Verdienst müsste bei über 2000 Euro liegen. Das ist auch für deutsche Arbeitnehmer in manchen Gegenden von Sachsen nicht so einfach. Deshalb geht auch mehr als jeder vierte Sachse, der Hartz IV bezieht, arbeiten. Sprich: Er kann seine Familie nicht allein von seinem Lohn ernähren.

Was liegt noch vor uns?

Flucht und Migration wird es auch weiterhin geben. Deshalb sind wir gut beraten, weiter mit einer positiven Grundeinstellung kommende Herausforderungen anzupacken. Für mich ist das Glas immer halb voll. Gemeinsam mit den Playern aus Politik, Wirtschaft und Verbänden wissen wir nun, wie wir es schaffen können.