Kinderarmut kommt die Gesellschaft teuer zu stehen

Torgauer Zeitung

Berlin. Der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, und der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, haben angesichts des aktuellen Streits um die Einführung einer Kindergrundsicherung eindringlich vor den gesellschaftlichen Folgekosten von Kinderarmut gewarnt.

Lilie führte als Beispiel die Verhältnisse im Norden der Ruhrgebietsstadt Essen an, wo 70 Prozent der Kinder mit Entwicklungsdefiziten aufwüchsen. „Die sind einfach lost“, sagte er – zu Deutsch: verloren. In ganz Deutschland könnten 25 Prozent der Kinder nach der vierten Klasse nicht richtig lesen. „Das ist ein Skandal.“ Und es habe zur Konsequenz, dass ein Viertel der Kinder auf der Strecke bleibe – was wiederum Kosten verursache, etwa wegen daraus resultierender gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder des Scheiterns auf dem Ar­beits­markt. Einer OECD-Studie zufolge betragen sie 110 bis 120 Milliarden Euro jährlich.

Der Chef des Wohlfahrtsverbandes bezifferte die Gesamtkosten einer effektiven Kindergrundsicherung hingegen auf lediglich 20 Milliarden Euro. „Wenn wir mehr Wirkung erzielen wollen, dann müssen wir mehr tun“, sagte er. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hatte für die Kindergrundsicherung zunächst 12 Milliarden veranschlagt und später maximal 7 Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Christian Lindner will 2 Milliarden Euro geben. Paus machte sich die Einschätzungen von Diakonie und DIW am Freitag zu eigen und wehrte sich überdies gegen Kritik, dass es für ihre geplante Kindergrundsicherung kein Konzept gebe. „Seit Januar liegen die Eckpunkte und damit das Konzept meines Ministeriums vor“, sagte die Grünen-Politikerin.

Fratzscher nannte die Kindergrundsicherung „eine höchst sinnvolle Investition“ und sagte: „Das Argument, das Geld fehle, halte ich für falsch und auch für widerlegt.“ So sei ja auch Geld für die steuerliche Entlastung von Spitzenverdienern da gewesen. Er beklagte: „Menschen, die arm sind, haben wenig Stimme.“ Aktuell ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes knapp jedes vierte Kind von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Vor Beginn der Inflation war es noch etwa jedes fünfte Kind. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden: 2022 waren 25,5 Prozent der Alleinerziehenden bei Haushalten armutsgefährdet. Bei zwei Erwachsenen mit einem Kind waren es 8,6 Prozent.

Nach einer Studie des DIW für die Diakonie führt Kinderarmut auch im Bereich Bildung zu hohen Folgekosten. Der oft schlechtere Zugang zu Bildungsangeboten für armutsbetroffene Kinder führe zu niedrigeren Bildungsabschlüssen und begrenzten beruflichen Perspektiven. Das wiederum erhöhe das Risiko von Arbeitslosigkeit.