Kreismusikschule mit mehr Schülern als noch vor der Corona-Pandemie
Die Einrichtung wird immer beliebter, steigende Schülerzahlen lassen die Warteschlange länger werden. Der Leiter Dr. Sven Rössel spricht im Interview über die Gründe für den Erfolg.
Nordsachsen. Dr. Sven Rössel, der Leiter der nordsächsischen Kreismusikschule „Heinrich Schütz“, warnt vor Einschnitten in der musikalischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen. Während der Kreistagssitzung am Mittwochnachmittag auf dem Torgauer Schloss Hartenfels verwies er auf entsprechende Entwicklungen im Bundesland Bayern. Warum es so wichtig ist, trotz Lehrermangels nicht übermäßig stark den Rotstift im Musikunterricht anzusetzen, erklärte er im Gespräch mit dieser Zeitung.
Dr. Rössel, warum sollten möglichst viele Kinder Erfahrungen im Umgang mit einem Musikinstrument
sammeln?
Weil dadurch Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft entwickelt werden können. Das Erlernen eines Instruments, das ständige Üben und das sich Durchbeißen, wenn etwas mal nicht so funktioniert, fördert die Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer. Wenn Sie so wollen, sind dies Schlüsselqualifikationen und die Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – die sogenannten MINT-Fächer – sind zweifellos sehr wichtig. Aber das Leben ist nun einmal weitaus facettenreicher.
Beim Blick auf die steigenden Schülerzahlen der Kreismusikschule möchte man glauben, dass immer mehr Eltern in Nordsachsen diese Ansicht teilen ...
Die eingeschlagene Richtung stimmt sehr zuversichtlich. Mit aktuell 3650 Schülern haben wir in diesem Schuljahr sogar das Vor-Corona-Niveau überflügelt. Im Jahre 2019 zählten wir nur etwas mehr als 3300 Schüler. Im Vergleich dazu sank allerdings die Anzahl unserer Musikpädagogen leicht. Aktuell arbeiten noch 93 Männer und Frauen für uns.
Das heißt, die Warteschlange vor der Kreismusikschule wird länger?
Grundlegend ja. Dabei gibt es jedoch Unterschiede. So ist die Nachfrage nach Plätzen in den Bereichen Klavier und Gitarre nach wie vor sehr groß. Im Falle des Erlernens beispielsweise eines Blasinstruments haben Interessenten fürs kommende Schuljahr aber deutlich größere Chancen – sofern sie ihre Anmeldung bereits jetzt eintüten.
Wie erklären Sie sich die steigenden Schülerzahlen?
Natürlich liegt es nicht nur daran, dass Eltern ihren Kindern eine möglichst breit gefächerte Ausbildung zukommen lassen wollen. Einen gewichtigen Anteil an dieser Entwicklung hat auch das Interesse am Klassenmusizieren in den Schulen. Nicht vergessen werden dürfen auch Projekte, die nur über zusätzlich eingeworbene Fördergelder finanziert werden können. Allein knapp 100 000 Euro stehen uns dafür zur Verfügung. Mit jenem Geld kann unter anderem ein Jazzworkshop im Mai (25. und 26. Mai; Anm. d. Red.) finanziert werden, der sich speziell an junge Musiker richtet. Auch unsere Jugendkunstschule zählt hierzu. Allein 30 Kinder und Jugendliche kommen zudem in den Genuss einer Begabtenförderung.
Im Vergleich zum 2,6 Millionen Euro schweren Haushalt, der sich aus Zuschüssen des Landkreises, des Freistaats sowie den Entgelten zusammensetzen, nehmen sich diese 100 000 Euro allerdings sehr
bescheiden aus ...
Das mag sein. Aber die Außenwirkung ist enorm. Ich vergleiche die Wirkung immer mit dem Topping eines Eises: Je interessanter die Verzierung, um so leckerer scheint dann auch das Eis zu schmecken.
Vor Kurzem überraschte die Musikschule am Standort Torgau sogar mit einem Graffiti-Workshop. Wird
es solche Angebote öfter geben?
Ich hoffe doch! Nur so erreichen wir auch künftig eine breite Basis. Und nur aus dieser lässt sich wiederum eine Spitze formen. Um möglichst breit aufgestellt zu sein, gibt es derzeit bei uns auch Überlegungen, wie wir Kinder und Jugendliche beispielsweise mit der Produktion elektronischer Sounds in Kontakt bringen können. In diesem Bereich sehe ich noch sehr großes Potenzial. Musik ist eben weit mehr als nur Klassik. Sie soll zum Experimentieren anleiten und die Kreativität fördern.
Das gilt sicherlich auch für all diejenigen, die den Kinderschuhen längst entwachsen sind ...
Der Anteil unserer sogenannten Best Ager, also Menschen ab einem Alter von 50 Jahren, liegt derzeit bei knapp acht Prozent. Tendenz steigend. Immer mehr Frauen und Männer, die mitten im Leben stehen, wollen ein Instrument erlernen. Allerdings ist und bleibt die musikalische Ausbildung von Kindern und Jugendlichen Schwerpunkt unserer Einrichtung, sodass die Warteschlangen bei den Älteren sogar noch ein wenig länger sind als allgemein in den Fächern Klavier und Gitarre.