Langzeitarbeitslosen eine Perspektive geben!

Dr. Michael Friedrich

In der jüngsten Fraktionssitzung waren die Situation und die Perspektiven der Langzeitarbeitslosen und der HARTZ-IV-Betroffenen im Landkreis das zentrale Thema. Dazu konnten Frau Hoffman-Ulrich als Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionalstelle der Agentur für Arbeit in Oschatz, Herr Sirrenberg als Sozialdezernent im Landratsamt und Herr Germer als Geschäftsführer des Jobcenters als Gäste gewonnen werden.

In der jüngsten Fraktionssitzung waren die Situation und die Perspektiven der Langzeitarbeitslosen und der HARTZ-IV-Betroffenen im Landkreis das zentrale Thema. Dazu konnten Frau Hoffman-Ulrich als Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionalstelle der Agentur für Arbeit in Oschatz, Herr Sirrenberg als Sozialdezernent im Landratsamt und Herr Germer als Geschäftsführer des Jobcenters als Gäste gewonnen werden.

Bekanntlich stehen wir LINKE der HARTZ IV-Gesetzgebung aus vielen Gründen prinzipiell ablehnend gegenüber. Als Kreistagsfraktion haben wir allerdings eine andere Verantwortung als die LINKE im Bundestag. Wir sehen uns in der Pflicht darauf hinzuwirken, dass  wenigstens die Umsetzung dieser Gesetze in Nordsachsen für die Betroffenen so erträglich wie möglich gestaltet wird. Verantwortlich für letztere ist die neue Struktureinheit Jobcenter mit Sitz in Oschatz und einer Außenstelle in Delitzsch. Dieses existiert auf neuer bundesgesetzlicher Grundlage als gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und des Landkreises seit dem 01.01.2011. Inzwischen haben sich die Wogen des damaligen heftigen Streits im Kreistag um das Für und Wider einer alternativen Optionslösung in der alleinigen Verantwortung des Landkreises geglättet. Nachdem nun die „Findungsphase“ des gemeinsamen Jobcenters beendet ist und erfreulicherweise ein partnerschaftliches Arbeitsverhältnis zwischen den beiden Trägern des Jobcenters das Alltagsgeschäft prägt, interessierte sich die Fraktion für konkrete Fakten und Ausblicke. Diese wurden in sehr reger und erfreulich offener Diskussion mit unseren Gästen an diesem Abend überaus reichlich gewährt. Dafür möchte ich mich hier nochmals bei Frau Hoffmann-Ulrich, Herrn Germer und Herrn Sirrenberg bedanken!

Trotz gegenwärtig deutlich entspannter Arbeitsmarktsituation, einer insgesamt ausreichenden Anzahl attraktiver Ausbildungsplätze und spürbarem Fachkräftemangel gibt es immerhin noch rund 10.000 Langzeitarbeitslose (nach SGB II)im Landkreis, die vom Jobcenter betreut werden. Hinzu kommen noch rund 3.000 Arbeitslose (nach SGB III) in der Obhut der Agentur. Insgesamt jedoch existieren in Nordsachsen rund 24.500 sogenannte „Leistungsbezieher“ nach Arbeitslosengeld II oder nach Sozialgeld in rund 13.800 „Bedarfsgemeinschaften“. Rund jeder neunte Einwohner des Landkreises ist also von HARTZ IV betroffen, was die enorme politische Dimension des Problems deutlich macht. Besonders skandalös ist der Fakt – hierin waren wir uns mit unseren Gästen völlig einig -  dass Arbeitslose in zunehmenden Maß zwar in den regulären Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, dies allerdings nur mit einem so geringen Entgelt, dass sie gezwungen sind als „Aufstocker“ die Leistungen des Jobcenters in Anspruch zu nehmen. Unsere Gäste konnten leider nur bestätigen, dass hier sowohl die Agentur als auch das Jobcenter mangels gesetzlicher Eingriffsbefugnis machtlos sind. Vielmehr sei hier dringend die Bundespolitik gefragt. Mit der Einführung eines branchenunabhängigen angemessenen Mindestlohnes, wie dies die LINKE seit vielen Jahren nachdrücklich fordert, könnte dieses Problem sofort aus der Welt geschafft, die Binnennachfrage angekurbelt und die Kommunen finanziell massiv entlastet werden. 

Ein hartes Problem besteht nach Einschätzung der Gäste in der fehlenden Mobilität vieler Langzeitarbeitsloser. Oft sei es gegenwärtig durchaus möglich, auch gering Qualifizierten Stellen anzubieten, allerdings nicht unbedingt „gleich um die Ecke“, sondern vielmehr in der Region Leipzig oder auch in Mittelsachsen, etwa bei DHL, bei  Amazon oder auch in Riesa, Freiberg und im Raum Zwickau. Oftmals jedoch fehle mangels eigenem PKW und mangels zumutbarer öffentlicher Verkehrsanbindung die reale Möglichkeit, diese Angebote auch wahrzunehmen. Hier ist der Landkreis gefragt, für ein ausreichend dichtes Netz an ÖPNV-Anbindungen zu sorgen. Eine weitere Ausdünnung der Linienverkehre, die jetzt mit den zurückgehenden Landeszuschüssen und den Sparzwängen der Haushaltssanierung droht, darf es keinesfalls geben.

Erfreulich sei, so Frau Hoffmann-Ulrich und Herr Germer, dass trotz zurückgehender Eingliederungsmittel des Bundes knapp 90% dieser Mittel für die Integration in den 1. Arbeitsmarkt gebunden werden konnten. Diese klare Bevorzugung sozialversicherungs-pflichtiger regulärer Arbeitsplätze vor den sogenannten Arbeitsgelegenheiten sei die erklärte Strategie des Jobcenters. Da konnte es nicht ausbleiben, dass auch die Kehrseite dieser Strategie heftig diskutiert wurde. So wird es für viele Vereine und für die Kommunen zunehmend schwieriger bis schlichtweg unmöglich, etwa 1-Euro-Jobs für soziale Betreuungsaufgaben oder die Grünlandpflege zu beantragen. Einigkeit bestand jedenfalls darin, dass es keinesfalls dazu kommen dürfe, dass prekäre Arbeitsgelegenheiten als Lückenbüßer für eine wegbrechende Vereinsfinanzierung oder für knappe kommunale Kassen herhalten müssen. Vielmehr hat das Land für eine auskömmliche Finanzierung seiner Kommunen zu sorgen.

Große Fragezeichen gab es hinsichtlich der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche in HARTZ-IV-Elternhäusern. So wie auch in anderen Landkreisen werden bei uns nur etwa 30 % der potentiell möglichen Leistungen abgerufen. Dies liegt nach übereinstimmender Auskunft von Herrn Sirrenberg und von Herrn Germer ganz bestimmt nicht an mangelnder Information der Betroffenen, sondern vielmehr an dem zu bewältigenden „Bürokratiemonster“ bei der Beantragung dieser Leistungen. Auch spiele es eine Rolle, dass sich bedauerlicherweise in manch einer der seit Jahren von HARTZ IV betroffenen Familien Resignation, gesellschaftliche Isolation und Antriebslosigkeit breit gemacht haben. Dies habe zur Folge, dass sich mit dem Schicksal „einmal HARTZ IV – immer HARTZ IV“ schlicht abgefunden werde bis hin zum erklärten Berufswunsch der Kinder, später einmal „hartzen“ gehen zu wollen. Die Fraktion war sich mit ihren Gästen völlig einig, dass diesen fatalen Fehlentwicklungen durch ausreichende Bildungs- und Weiterbildungsangebote für die betroffenen Kinder, aber auch für die Eltern energisch entgegen getreten werden muss. Dabei kommt gerade den Niedrigschwelligen Angeboten der Schulsozialarbeit eine zentrale Rolle zu. Gerade hier besteht in unserem Landkreis noch ein erheblicher Nachholbedarf.

Vorerst Entwarnung gegeben werden kann bei dem Problem der Neufestsetzung der kreislichen Sätze für die Leistungen der Unterkunft und Heizung (KdU). Nach der einschlägigen Rechtsprechung sind diese Kosten von den Kommunen grundsätzlich zu zahlen, es sei denn sie sind ersichtlich grob unangemessen zu hoch. Dies sei in Nordsachsen mit seiner dünnen Bevölkerungsdichte und dem generell sehr niedrigen Mietspiegel aber nicht der Fall. Anders als in anderen Landkreisen sieht hier Sozialdezernent Sirrenberg kein relevantes Einsparpotential. Da die Landesregierung gemäß § 22 a Absatz 1 SGB II per Landesgesetz die Kommunen verpflichten will, nur noch „angemessene Kosten“  für die KdU zu übernehmen, werden wir LINKE die Entwicklung im Auge behalten. 


Dr. Michael Friedrich