Nach Wagenknecht-Abspaltung: Die Linke stemmt sich gegen die Krise. Die sächsischen Genossinnen und Genossen haben sich auf ihrem Landesparteitag geschlossenwie lange nicht gezeigt. Mit einer Doppelspitze geht es in das Wahljahr 2024.

LVZ

Chemnitz. Es ist bundesweit der erste Linke-Landesparteitag nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht – entsprechend groß ist das Interesse, wie die Partei auf die Spaltung reagiert. In Chemnitz zeigt sich am Wochenende die sächsische Linke so geschlossen wie lange nicht: In Sichtweite des Karl-Marx-„Nischels“ wird sich gegen die Krise gestemmt und nahezu trotzig eine Aufbruchstimmung verbreitet.

An dem neuen Wagenknecht-Bündnis führt auch auf dem Landesparteitag kein Weg vorbei. Allerdings ist die Debatte bei Weitem nicht dominierend – was zu sagen gewesen ist, scheint im Wesentlichen bereits gesagt zu sein. In der Generaldebatte zu Beginn des Parteitags, an dem rund 200 Delegierte teilnehmen, wird die abtrünnige Linke-Prominente ab und an thematisiert. Klaus Bartl, ehemaliger Landtagsabgeordneter aus Chemnitz, bedauert Wagenknechts Weggang: Die Abspaltung sei „unsere bislang größte Niederlage“ in der Nachwendegeschichte, „und sie ist selbst gemacht“. Nichtsdestotrotz biete sich die Chance, so Bartl, aus der Krise gestärkt hervorzugehen.

Marco Böhme, Landtagsabgeordneter aus Leipzig, ist eine gewisse Erleichterung anzumerken: „Das ständige Schießen gegen die eigenen Leute und Positionen hat uns extrem geschadet und ist jetzt vorbei. Wir können nun wieder selbstbewusst und klar nach außen kommunizieren.“ Dabei dürften prekär Beschäftigte nicht gegen Geflüchtete ausgespielt werden, sagt Böhme mit Blick auf Wagenknecht, sondern es müsse „gemeinsam für eine Beendigung der sozialen Ungleichheit“ gekämpft werden.

Welche Bedeutung der sächsische Landesparteitag hat, zeigen auch die Reden von zwei Linke-Prominenten. Bundestags-Nochfraktionschef Dietmar Bartsch nennt „die Abspaltung einer kleinen Gruppe“ verantwortungslos und eine Zäsur für die Partei. „Jetzt werden wieder Totenglöckchen geläutet – dafür ist es viel zu früh“, ruft Bartsch in den Saal der Stadthalle Chemnitz. Die Linke dürfe sich nicht „an den Plänen anderer abarbeiten“, sondern habe ihr Schicksal wieder in der eigenen Hand: „Der Weg der schändlichen Selbstbeschäftigung muss vorbei sein.“

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vermeidet, den Namen Wagenknecht zu nennen – stattdessen sorgt er für Gelächter: In Anlehnung an Wagenknechts Bündnis BSW spricht der Regierungschef vom „Beamten-Selbsthilfewerk“ für den öffentlichen Dienst (das tatsächlich existiert). Doch das neue BSW sei „momentan nicht die entscheidende Größe“ für die Auseinandersetzung, macht Ramelow klar, sondern es müsse gelingen, „mal wieder linke Grundsätze klar herauszuarbeiten“.

Die Doppelspitze der sächsischen Linken ist auf dem Parteitag bestätigt worden: Susanne Schaper erhält 85,6 Prozent der Delegiertenstimmen (2021: 71,9 Prozent), Stefan Hartmann kommt auf 69,4 Prozent (2021: 76,5). Beide hatten keine Gegenkandidaten. Schaper (45), gelernte Krankenschwester, ist Landtagsabgeordnete und erwiesene Sozialexpertin. Hartmann (55) ist Berater von Bartsch im Bundestag, gilt als Analyst und Vordenker. Dahinter gibt es eine Umwälzung: Die neuen stellvertretenden Landesvorsitzenden heißen Anja Eichhorn, die mit 74,7 Prozent gewählt wird, und Markus Pohle (75,9 Prozent).

„Uns ist klar, dass mit dem Weggang von Sahra Wagenknecht nicht jeder innerparteiliche Konflikt gelöst ist. Aber wir sagen: Jetzt erst recht! Wir geben nicht auf“, macht die wiedergewählte Co-Vorsitzende klar. Allein während des Parteitags sind acht Aufnahmeanträge gestellt worden. Zuvor hatte es seit der Abspaltung, die vor knapp zwei Wochen vollzogen wurde, bereits 30 Eintritte gegeben, denen 20 Austritte gegenüberstehen.

Das seit vier Jahren amtierende Führungsduo soll die sächsische Linke auch in die Landtagswahl am 1. September 2024 führen. Schaper (91,7 Prozent) und Hartmann (78,3 Prozent) sind auf dem Parteitag als Spitzenkandidaten nominiert worden. Die Ergebnisse dürften damit auch als Signal in die Partei und nach außen verstanden werden. Die Delegierten quittieren die Nominierung mit stehenden Ovationen – das hat es bei der Linken sehr lange nicht gegeben.

Schaper hatte zuvor klargemacht, dass die Landtagswahlen in Ostdeutschland – im nächsten Jar wird auch in Thüringen und Brandenburg abgestimmt – „ausschlaggebend für den Fortbestand unserer Partei werden können“. Gleichwohl verfüge die Linke in Sachsen noch über ein Wählerpotenzial von 25 Prozent, sagt Hartmann: „Allen, für die soziale Gerechtigkeit so wichtig ist, reichen wird die Hand.“ Das Ziel lautet, „deutlich im zweistelligen Bereich“ zu bleiben. In einer LVZ-Umfrage war die Linke im Freistaat zuletzt auf neun Prozent gekommen, bei der Landtagswahl 2019 waren es 10,4 Prozent gewesen.

Neben einem Rahmenprogramm für die Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 stehen inhaltlich Landesthemen im Fokus. „Wer glaubt, soziale Gerechtigkeit bei der AfD zu finden, glaubt vermutlich auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten“, teilt Schaper aus. Die großen Themen heißen medizinische Versorgung, Schulen und Kitas sowie gute Arbeit. „Wir wollen, dass in Sachsen auch in Zukunft Industrie, Handwerk und Dienstleister ihren Beitrag zu einer starken Wirtschaft leisten können. Das darf aber weder auf Kosten unseres Planeten noch auf die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen“, erklärt Hartmann.

Der Landesparteitag nimmt einstimmig auch den Initiativantrag „Asylrecht verteidigen – Kommunen stärken“ an. „Die Asyldebatte verläuft komplett in die falsche Richtung: Anstatt humanitäre und pragmatische Lösungen für die Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden zu suchen, geht es nur um Härte und Restriktionen“, kritisiert die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger – „die Menschenwürde lässt sich migrationspolitisch nicht relativieren“.