Neue Kunststoffe vermeiden Müllberge: Delitzsch forscht daran bald mit

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Das neue Großforschungszentrum in Delitzsch nimmt immer konkretere Formen an. Nicht nur, dass inzwischen die ersten Forscherinnen und Forscher in Delitzsch arbeiten, auch der zweite Standort ist geklärt.

Und nun nimmt auch das Gelände Gestalt an – zumindest in der Planung. Die Stadt Delitzsch hat einen Bebauungsplan auf den Weg gebracht. Bis Ende 2025 soll der Plan für den Hauptcampus stehen.

▶ Was wird im CTC erforscht?

In Delitzsch soll an nichts Geringerem als am Wandel der globalen Chemiebranche gearbeitet werden. Dieses Anliegen beinhaltet bereits der Name des Instituts. CTC ist die Abkürzung für „Center for the Transformation of Chemistry“ (zu Deutsch: Zentrum zur Transformation der Chemie). Das meint eine Veränderung der Chemieindustrie – weg von der linearen hin zu einer Kreislaufwirtschaft, bei der Ressourcen wiederverwendet werden.

Es geht darum, zu forschen, wie man künftig unabhängiger von fossilen Energien wird, den CO2-Ausstoß mindert und wie man künstliche Intelligenz nutzen kann, um den Aufwand zu reduzieren. Im Zentrum steht Forschung, nicht Produktion.

▶ Warum ist Forschung wichtig?

Man müsse die chemische Industrie komplett neu denken, erklärte der CTC-Gründungsdirektor, Peter Seeberger, der zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam ist, den Forschungsinhalt. Während die Chemie in früheren Jahren erst auf Kohle, dann auf Erdöl und Erdgas gesetzt habe, müsse sie in Zukunft auf andere Stoffe setzen. Es sei unumgänglich, dass sich die chemische Industrie verändere, so Seeberger. Sonst drohe die Abwanderung von Unternehmen. „Wenn die Chemie einmal weggeht aus Deutschland, dann wird sie nie wieder hierherkommen.“

Im Januar hat ein Forscherteam seine Arbeit aufgenommen. Das Konsortium „Symbioloop“ will in Zusammenarbeit mit dem CTC aus Abfällen hochwertige und zugleich nachhaltige Materialien herstellen. Konkret geht es um den Chemiker Manuel Häußler. Er hat mit seinem Team an der Universität Konstanz ein Verfahren entwickelt, mit dem konventionelle Kunststoffabfälle in vielseitig einsetzbare Chemikalien umgewandelt werden können. Ziel des Projekts ist es, aus Abfällen Kunststoffe zu entwickeln, die in ihrer Funktionalität herkömmlichen Kunststoffen in nichts nachstehen, im Gegensatz zu diesen aber nahezu unbegrenzt recycelbar sind. Damit können nicht nur erdölbasierte Materialien ersetzt, sondern neue Müllberge vermieden werden.

▶ Wo und was wird entstehen?

Wirklich greifbar wird das Projekt aber wohl erst, wenn die ersten Bauarbeiten sichtbar werden und die Solarpaneele, die derzeit noch das Gelände bedecken, verschwunden sind. Für den CTC-Campus sind die Flächen zwischen Richard-Wagner-Straße und Fabrikstraße sowie südlich der Bahnlinie Eilenburg–Halle bis zur Bundesstraße 184 – insgesamt rund 72 Hektar – reserviert. Ziel ist es, einen zusammenhängenden Campus mit entsprechender Infrastruktur zu schaffen.

Nördlich der Bahnlinie soll auf etwa zwei Dritteln der Fläche das eigentliche CTC entstehen. Im Umfeld sollen Flächen für Unternehmen zur Verfügung stehen, die sich aus dem Forschungszentrum heraus entwickeln.

Bereits im Laufe des Jahres 2024 sollen auf dem Gelände die ersten Bagger rollen und ein Interimsgebäude entstehen, in dem erste Forschungsarbeiten durchgeführt werden können. 2026 soll dann mit dem Bau des eigentlichen CTC-Gebäudes begonnen werden. Für den Bau, die materielle und personelle Ausstattung des CTC stellt der Bund insgesamt rund 1,22 Milliarden Euro zur Verfügung.

Zweiter Standort des Forschungszentrums ist Merseburg in Sachsen-Anhalt. Die Entscheidung für die Stadt im Saalekreis sei gefallen, weil der Standort mit der Hochschule und der direkten Anbindung an die zahlreichen Unternehmen im und um den Chemiepark Leuna ideale Voraussetzungen für künftige Forschungen und Kooperationen biete, so Seeberger.  

▶ Wann soll es losgehen?

Dass es überhaupt Baurecht für das Gebiet gibt, sieht die Stadt Delitzsch als eine der obersten Prioritäten. Die Erstellung eines Bebauungsplans (B-Plan) wurde europaweit ausgeschrieben, vor wenigen Tagen erfolgte die Auftragsvergabe. Mit dem Beschluss des Bebauungsplanes wird überhaupt erst Baurecht für das CTC geschaffen. In einem B-Plan geht es unter anderem auch darum, festzulegen, was auf einem Gelände baulich erlaubt ist, welche Ansiedlungen dadurch möglich wären und welche nicht.

Die ICL Ingenieur Consult GmbH aus Leipzig übernimmt den Auftrag für rund 141 000 Euro. Planungsbeginn wird voraussichtlich noch im Frühjahr 2024 sein. „Für den nördlichen Teil können die Planungen wahrscheinlich noch am Jahresende abgeschlossen werden“, sagt Oberbürgermeister Manfred Wilde (parteilos). Der südliche Teil (ab Bahnstrecke) in Richtung Umgehungsstraße werde voraussichtlich bis Ende 2025 beplant, weil es dort unter anderem auch aufgrund von Altlasten komplexer und komplizierter sei. Für die Erstellung des B-Plans fließen Fördermittel.

▶ Wie viele Jobs entstehen?

Durch das CTC sollen in den kommenden Jahren etwa 700 Arbeitsplätze direkt in Delitzsch und 300 am Standort Merseburg entstehen. Beide Standorte werden von Delitzsch aus verwaltet. Eine Gesamtbeschäftigtenzahl von rund 1000, tendenziell eher 1100 Personen ist die Perspektive für das Ganze. Dies betrifft die direkte Arbeit des CTC, aber auch im Umfeld werden zahlreiche Arbeitsplätze entstehen.

Bereits jetzt arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Konzeption des CTC-Forschungsprogramms. Bis 2025 sollen rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das CTC arbeiten. Die ersten Arbeitsverträge wurden bereits geschlossen. Aktuell sucht das Forschungszentrum Dateningenieure, Wirtschaftsjuristen und Vergabespezialisten.