Pflegeheim als Armutsfalle

LVZ, Delitzsch-Eilenburg

Die Kluft zwischen Renten und Eigenanteilen der Pflegebedürftigen in Sachsen und Thüringen wächst. Das „Bündnis für Gute Pflege“ fordert deshalb eine grundlegende Reform des Systems.

Leipzig. Wer pflegebedürftig und auf einen Heimplatz angewiesen ist, muss immer tiefer in die Tasche greifen, auch in Mitteldeutschland. Nach Belegen, die der LVZ vorliegen, zahlte etwa der Leipziger Heinz E., der seit zweieinhalb Jahren in einem privatwirtschaftlich betriebenen Pflegeheim der Messestadt lebt, im September 2018 noch einen Eigenanteil von 1290,68 Euro. Jetzt, im September 2020 muss er schon 2133,93 Euro berappen – eine Erhöhung um über 840 Euro in zwei Jahren. Der 86-jährige fühlt sich sehr gut betreut im Heim. Aber der Beitrag übersteigt die Rente des ehemaligen Maurers nun deutlich. Denn zusammen mit der Witwenrente bekommt er monatlich rund 1500 Euro von der Rentenversicherung. Noch kann er die Differenz vom mühsam Ersparten bezahlen, aber bei den rasant gestiegenen Beiträgen reicht es nicht mehr lange.

Rentenplus reicht nicht aus

Die Heimbetreiber begründen die Kostensteigerung generell mit der höheren Vergütung des Pflegepersonals und der Einstellung zusätzlicher Kräfte, um die Betreuung zu verbessern. Die Kassen bleiben jedoch bei ihren festen Beiträgen je Pflegestufe, so dass sich nur der Eigenanteil der Bewohner erhöht. Dabei fordert Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) eigentlich: „Niemand soll eine individuell nicht mehr tragbare Belastung erfahren oder gar in die Gefahr von Altersarmut rücken, weil die Kosten für die Pflege steigen.“

Doch angesichts der steigenden Pflegeheimkosten geht die Schere zwischen den Eigenanteilen der Bewohner und den Rentenbezügen immer weiter auseinander. Auch Sachsens Sozialministerium erwartet, dass durch notwendige bessere Vergütung von Pflegekräften, aber auch aufgrund allgemeiner Kostensteigerungen im Bereich Unterkunft und Verpflegung, die Heimkosten weiter ansteigen werden. „Und so lange an der bisherigen Ausgestaltung der Pflegeversicherung festgehalten wird, ist somit auch mit einer steigenden Beteiligung der Bewohner an den Kosten zu rechnen“, heißt es aus dem Ministerium. Dass diese zunehmende Belastung durch eine adäquate Entwicklung der Renteneinkommen ausgeglichen werden kann, sei nicht zu erwarten.

Sozialhilfe ohne Erspartes

Das belegen auch aktuelle Zahlen. So betrug die durchschnittliche Altersrente eines Neurentners 2019 in Sachsen für Männer 1098 Euro, für Frauen 1021 Euro – laut Deutscher Rentenversicherung nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen. In Thüringen, wo 25,5 Prozent der 26 414 vollstationär betreuten Pflegeheimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen sind, lagen die Neurenten 2019 für Männer bei 1102 Euro und für Frauen bei 1009 Euro.

Die monatliche Zuzahlung eines Pflegebedürftigen in vollstationärer Betreuung beträgt dagegen nach Stand 1. Juli 2020 in Sachsen durchschnittlich 1621 Euro monatlich, in Thüringen 1564 Euro – nach Daten des Verbandes der Ersatzkassen. Allein das verdeutlicht die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben. Ohne Erspartes sind die Heimbewohner meist auf Sozialhilfe angewiesen.

Reicht das eigene Einkommen nicht, müssen auch die erwachsenen Kinder ihren Beitrag leisten zu den Pflegekosten der Eltern, allerdings nur mit einem Einkommen von über 100 000 Euro im Jahr. „Wenn Pflegebedürftige und deren unterhaltspflichtige erwachsene Kinder aufgrund ihrer finanziellen Situation den Eigenanteil nicht erbringen können, tritt unter bestimmten Voraussetzungen die Sozialhilfe ein“, heißt es aus dem Sozialministerium.

Die Kosten für einen stationären Pflegeheimplatz setzen sich aus den Pflegesätzen der Kassen, dem Entgelt für Unterkunft und Verpflegung sowie dem Investitionskostenanteil zusammen. Die Pflegesätze für die der Pflegegrade 2 bis 5 werden von den Kassen als pauschale Beträge übernommen. Die Höhe der Pauschale ist vom jeweiligen Pflegegrad abhängig. Alle weiter anfallenden Kosten sind von dem Pflegebedürftigen selbst zu tragen. Dazu kommt auch noch eine Ausbildungsumlage.

Ein bundesweites „Bündnis für Gute Pflege“ schlägt Alarm. Jeder dritte Heimbewohner beziehe inzwischen Sozialhilfe. „Pflegebedürftigkeit ist zum realen Armutsrisiko geworden“, heißt es in einer Erklärung. Eine qualitativ hochwertige Pflege setze eine deutlich bessere Personalausstattung in der Altenpflege voraus sowie eine angemessene tarifliche Bezahlung der Pflegekräfte. Die damit verbundenen Kostensteigerungen dürften jedoch nicht einseitig zu Lasten der Betroffenen gehen. Hier bestehe dringender Reformbedarf bei der Finanzierung der Pflege. Dem „Bündnis für Gute Pflege“ gehören 23 Organisationen mit 13 Millionen Mitgliedern an, darunter sind Wohlfahrts- und Sozialverbände sowie Gewerkschaften.

Auch die Linksfraktion des Bundestages warnt: „Immer mehr Menschen werden diese Eigenanteile bei oft deutlich geringeren Renten nicht bezahlen können. Oder wenn sie es noch bezahlen können, müssen sie sich weiter einschränken und den Friseurbesuch und anderes streichen.“ Das Pflegeheim werde immer mehr zur Armutsfalle.