Thema: Jugendpauschale - Riesenbanner „Hier bestimmen Sie!“ entlarvt sich als sinnleere Imagekampagne der Staatsregierung

Dr. Michael Friedrich

Die gestrige Enthüllung von Riesenbannern vor dem Sächsischen Landtag und vor einigen  Rathäusern mit dem markigen Spruch „Hier bestimmen Sie!“ kann angesichts der gerade stattgefundenen Massenproteste gegen die Kürzung der Jugendpauschale nur noch Kopfschütteln hervorrufen. Eigentlich wollte die Staatsregierung mit diesem Spruch an die ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990 und an die demokratischen Errungenschaften dieses Umbruchjahrs erinnern. Die realen Erfahrungen vieler Bürgerinnen und Bürger aber sind ganz andere: überbordender Zentralismus aus Dresden, Berlin und Brüssel, zunehmende Einfallslosigkeit und Intransparenz des Regierungshandelns, Sparorgien ohne Ende, obrigkeitsstaatliches Handeln, Einschnürung der kommunalen Selbstverwaltung und eben gerade keine Mitbestimmung.

Am Vorabend der Aufstellung des Riesenbanners vor dem Landtag demonstrierten dort rund 4.000 Kinder, Jugendliche, Sozialarbeiter und Gewerkschaftler gegen die rabiaten Kürzungspläne der Staatsregierung in der offenen Jugendarbeit. Hätte das Transparent dort schon einen Tag früher gestanden, müsste diese Inschrift den Demonstranten als blanker Hohn bitter aufgestoßen sein!

 Am gleichen Tag wird bekannt, dass das Kultusministerium die den Lehrerinnen und Lehrern  versprochene und mit den Gewerkschaften ausgehandelte Aufhebung der Teilzeitregelung ab Juli 2010 nicht einzuhalten gedenkt. Die Volkshochschulen bekommen stark gekürzte Zuschüsse, ebenso die Freien Berufsschulen. Einen Tag später verkündet das Sozialministerium, dass selbst das Blindengeld auf den Prüfstand gestellt werden soll. Heute sickern einschneidende Kürzungspläne aus dem Kunst- und Wissenschaftsministerium durch. Den Universitäten und Hochschulen soll es ebenso wie den Museen und der Soziokultur an den Kragen gehen.

Das politisch wirklich Beunruhigende an dieser Entwicklung ist nicht so sehr, dass es Kürzungen geben wird. Dass Kürzungen unausweichlich sind sagt schon der gesunde Menschenverstand. Das Beunruhigende sind das offensichtliche Fehlen jedweden politischen Zukunftskonzepts für Sachsen und die unwürdige, völlig intransparente Salami-Taktik, mit der die Kürzungen ohne jegliche Mitsprache der davon Betroffenen nach und nach zum Vorschein kommen.

Wenn im kommenden Doppelhaushalt (mindestens) 1,7 Mrd. Euro Einnahmen fehlen, es aus Gründen der finanzpolitischen Nachhaltigkeit richtigerweise keine weitere Schuldenaufnahme geben soll und auch Möglichkeiten der Einnahmeverbesserung nicht erkennbar sind, müssen Ausgaben angepasst werden. Aber doch nicht so einfallslos, wie dies gegenwärtig Finanzminister Prof. Unland mit seiner pauschalen Haushaltssperre quer durch alle Ministerien nach dem Prinzip Gießkanne exekutiert. Hier wäre die politische Richtlinienkompetenz von MP Tillich, die ihm laut Landesverfassung zusteht,  gefragt gewesen. Der Ministerpräsident hätte sich im Streit mit seinen Kabinettskollegen auf die wirklich zukunftsfähigen Schwerpunkte einigen müssen. So hätte es einen  klaren Vorrang für Jugend und Bildung einschließlich Hochschulen und Technologieförderung vor dem staatlichen Hochbau, den diversen Staatsbetrieben und auch vor Straßenbauprojekten geben müssen. Tillich aber ist diesen unbequemen Auseinandersetzungen feige aus dem Wege gegangen. Lieber sonnte er sich in den entscheidenden Wochen im schönen Kanada bei den Olympischen Winterspielen. Das Feld war Finanzminister Unland überlassen, der weiter an seinem Image als inoffizieller „Anti-Schuldenweltmeister“ und Nullverschuldungsprophet arbeitet. Selbst der verzweifelte Ruf eines CDU-Fachpolitikers: „Keine Schulden machen ist doch noch keine Politik!“ konnte Unland nicht beeindrucken. Es ist bedenklich, dass der Finanzminister eine solche Macht hat, um de facto auch noch die kläglichen Reste der Fachpolitik mit zu verantworten und damit einige Ressortminister wie etwa Frau Claus regelrecht überflüssig zu machen.

Dabei liegen politische Alternativen zur Kürzungsmethode „Unland“  klar auf der Hand. Einer Neuverschuldung des Freistaates, wie sie von Schwarz-Gelb Kritikern immer wieder unterstellt wird,  bedarf es dabei nicht.

  • Gefragt werden aber darf schon, ob es denn sonderlich sinnvoll ist, auch in den derzeitigen finanzpolitischen Krisenjahren die Schuldentilgung im ursprünglich geplanten Umfang fortzusetzen. Müssen in den Jahren 2011/2012 wirklich wie in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen jeweils über 80 Mio. Euro getilgt werden? Wäre hier nicht eine zeitlich beschränkte Tilgungsaussetzung oder z. B. eine Halbierung der Tilgungsleistungen angezeigt, zumal sich alle Wirtschaftsinstitute darin einig sind, dass in Zeiten der Krise antizyklisches Handeln angesagt ist?
  • Ist es richtig, den unbestritten notwendigen Pensionsfonds für die Beamten auch in den Zeiten der Krise weiterhin so kräftig anzusparen? Wäre nicht auch hier eine zeitweilige Aussetzung des Ansparens bzw. eine verringerte Ansparleistung eine sinnvolle Alternative?
  • Warum ist so wenig regierungsamtliche Gegenwehr zu beobachten, um die Kostenexplosionen beim City-Tunnel in Leipzig (+ 400 Mio. Euro mindestens) oder bei der Waldschlösschen-Brücke in Dresden (+ 25 Mio. Euro) einzudämmen? Allein etwa ein Zehntel der Zusatzkosten des City-Tunnels wiegen die 4,3 Mio. Euro Einsparungen bei der Jugendpauschale auf.
  • Warum wird so wenig getan, um die Verantwortlichen für das Desaster der Landesbank, die dem Freistaat eine Bürgschaft von 2,75 Mrd. Euro und von über 800 Mio. Euro Rückstellungen eingebrockt hat, auch strafrechtlich und zivilrechtlich, damit also auch finanziell zur Verantwortung zu ziehen?
  • Warum wird zugelassen, dass mit der neuen Kartoffelkäfer-Koalition entgegen allem FDP-Geschwätz von einer in Angriff zu nehmenden „Staatsmodernisierung“ die Personalkosten in den Ministerien um rund 600.000 Euro angestiegen sind? Darunter befinden sich ein zusätzlicher hoch dotierter Staatssekretär speziell für Wirtschaftsminister Morlock und eine ebenso überdotierte wie überforderte  Landespressesprecherin. Allein diese vermeidbaren Zusatzkosten wiegen dreimal den Kürzungsbetrag von rund 200.000 Euro der Jugendpauschale in unserem Landkreis auf!

Zurück zu den aktuellen Konsequenzen der Kürzung der Jugendpauschale für unseren Landkreis. In der gestrigen Sitzung des Unterausschusses 1 des Jugendhilfeausschusses wurden von Sozialdezernent Günter Sirrenberg die Vorschläge der Verwaltung für die Fachkraftförderung in Nordsachsen vorgestellt. Es ist ein reines Notprogramm, das von der Verwaltung in ungezählten Gesprächen mit den Trägern in kürzester Frist erarbeitet werden musste, erkennbar ohne Freude an dieser unangenehmen Aufgabe aber doch mit Augenmaß. Ohne hier auf Einzelheiten aus dieser geschlossenen Sitzung eingehen zu können, ist eine Konsequenz völlig klar: Es kommt zu einer deutlichen Verminderung der Anzahl der Fachkräfte (Personen und „Vollzeitäquivalente“), zu einer Verminderung der Wochenstunden der verbleibenden Fachkräfte und auch zu einer Verminderung der geförderten Projekte (Quelle: mrd  Sachsen 13.03.2010 07.30 Uhr).

Wenngleich es durch die umsichtige Abfederung der Kürzungen durch die Verwaltung  (noch) keinen flächendeckenden Kahlschlag in der Jugendarbeit geben wird, leidet darunter ganz klar die Fachlichkeit. Die vielen noch vorhandenen weißen Flecken bei der Projektförderung mit sozialpädagogischen Fachkräften,  die es speziell im Altkreis Torgau-Oschatz außerhalb der beiden Mittelzentren aber auch im Altkreis Delitzsch nahe der Landesgrenze gibt, werden gerade nicht geschlossen, obwohl dies bitter notwendig wäre. So drohen aus diesen weißen Flecken irgendwann einmal braune zu werden. Für die Entwicklung der Jugendlichen zu sozialem Engagement, Toleranz und Demokratiefähigkeit ist diese Entwicklung verheerend. Sie wird die soziale Spaltung in unserem Landkreis weiter vertiefen. Die Folgekosten für den Landeshaushalt werden ein Vielfaches höher liegen als die jetzigen Einsparungen. Selbst Sparminister Unland müsste erkennen, dass er da mittelfristig ein sehr schlechtes Geschäft anbahnt!

Zurück zum Riesenbanner vor dem Sächsischen Landtag mit seinem ebenso markigen wie wirklichkeitsfremden Spruch. Was hat die Realität des Jahres 2010 noch mit den Verheißungen des friedlichen Wendejahres 1990, mit der demokratischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger nicht nur an Wahltagen, sondern gerade auch im Alltag, mit Transparenz und Offenheit zu tun?

Was ist aus den vollmundigen Versprechungen der Kreisgebietsreform geworden, die doch gerade die Landkreise stärken, deren Selbstverwaltung ausbauen und den Bürgerinnen und Bürgern Vorteile bringen wollte?