Stellungnahme zur geplanten Gesetzesnovelle SächsGemO, SächsKro 2021

Vorbemerkungen

Erstmalig seit 1990 gibt das Staatsministerium des Inneren (SMI) den kommunalpolitischen Vereinigungen der im Landtag vertretenen Fraktionen die Möglichkeit, frühzeitig eine Stellungnahme zu einem wichtigen, die kommunale Ebene betreffenden Vorhaben abzugeben. Diese Öffnung der Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten über die obligatorische Anhörung der kommunalen Spitzenverbände gemäß Artikel 84 Abs. 2 der Sächsischen Landesverfassung und den Sachverständigenanhörungen im parlamentarischen Raum hinaus, begrüßen wir. Eine Verstetigung dieser Verfahrensweise ist wünschenswert.

Mit dem vorliegenden Artikelgesetz sollen die im Koalitionsvertrag von CDU, B90/Die Grünen und SPD für die 7. Legislaturperiode vereinbarten Änderungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung sowie zur Beteiligung der Bürger:innen an kommunalpolitischen Entscheidungen umgesetzt werden. Weiterhin werden praktische Erfahrungen aus der bisherigen Arbeit mit der SächsGemO, der SächsLKrO, dem SächsKomZG, dem SächsKomWG und einiger weiterer Gesetze für die Nachjustierung einschlägiger gesetzlicher Regelungen im Interesse einer höheren Praktikabilität und der Rechtssicherheit vorgenommen.

Konkret listet der Koalitionsvertrag für die 7. Legislaturperiode die folgenden allgemeinen Vorhaben für das kommunalpolitische Gebiet auf (S. 57/58):

• die kommunale Selbstverwaltung soll entlang der Prinzipien von Vertrauen und Verantwortung gestärkt werden,
• die Gestaltungsspielräume der Kommunen sollen erweitert werden,
• Gemeinderäte und Kreistage sollen in ihrer Arbeit als Hauptorgane der Kommunen gestärkt werden, deswegen soll eine rechtssichere Regelung für die Veröffentlichung von Beratungsunterlagen für öffentliche Sitzungen geschaffen werden,
• es soll mehr Bürgerbeteiligung und mehr Entscheidungsrechte für die Bürger:innen geben,
• mindestens zweimal jährlich sind öffentliche und thematisch offene Einwohnerversammlungen in den Kommunen durchzuführen,
• die grundsätzliche Hauptamtlichkeit von Bürgermeister:innen soll wieder in allen Gemeinden unterhalb von 5.000 Einwohner:innen möglich sein,
• ab 2021 sind Bürgerbudgets für einfache und konkrete Projekte umzusetzen,
• die bisherige faktische Erhebungspflicht von Straßenausbaubeiträgen für Kommunen in Haushaltsnotlage ist abzuschaffen.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass mit dem vorliegenden Artikelgesetz die Ankündigungen in den ersten sechs Anstrichen des Koalitionsvertrags umgesetzt werden, nicht dagegen die Versprechungen in den beiden letzten Anstrichen.

Davon unbenommen wird die Ansicht vertreten, dass es dem Ziel der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung zuwiderläuft, diese durch immer mehr gesetzliche Regelungen und ›Klarstellungen‹ umsetzen zu wollen. Wo dies der Fall ist, wird das zu den einzelnen Punkten gesondert angeführt.

Vertiefend sei weiter ausgeführt, dass zwar einige Änderungen im Detail sinnvoll sein mögen, aber der grundsätzliche Trend zur Überregulierung den Grundsatz des Selbstverwaltungsrecht zunehmend aushöhlt. Vielfach sind bestehende und in dem vorliegenden Entwurf beabsichtigte Regelungen nicht notwendig, wenn den Kommunen mehr Vertrauen in ihre Regelungskompetenz entgegengebracht wird und sie die dafür notwendige Ausstattung erhalten. Gewissermaßen sollten Landesebene und Kommunen gemeinsam gesellschaftliche und staatliche Ziele in Form einer Rahmenvereinbarung angehen.

Die Aufgabe des Innenministeriums als Rechtsaufsicht wäre es dann, unter Einbindungen der kommunalen Spitzenverbände und anderer Kompetenzträger (beispielsweise der kommunalen Bildungsträger), Informationsmaterial, Hinweise, Leitfäden und/oder Handreichungen für die ehrenamtliche Kommunalpolitik zu entwickeln. Diese ermöglichen dann informierte Entscheidungen darüber, welcher Weg/welche Lösung im Detail für die lokalen Gegebenheiten in Frage kommt. Das Verhältnis Land - Kommune von Grund auf neu auszurichten, den Fokus auf »Mutmacher« und nachzuahmende Beispiele auf kommunaler Ebene zu legen, würde auf lange Sicht mehr bringen als weitere gesetzliche Neu- und Ausregelungen.

Abschließend darf der Hinweis gestattet sein, dass die Erarbeitung einer Synopse zum Entwurf des Artikelgesetzes durch das SMI die Arbeit wesentlich erleichtert hätte. Bei künftigen Vorhaben dieser Art sollte dies dringend berücksichtigt werden.


Zu den Änderungen im Einzelnen

Zu den einzelnen Artikeln kommen wir zu den folgenden Einschätzungen, Kritiken und Bemerkungen, wobei der Fokus auf den materielle Änderungen liegt. Die Vielzahl von Rechtsbereinigungen sowie redaktionellen Änderungen sollen außen vor bleiben.

Artikel 1 - Änderungen der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO)

Art. 1 Nr. 2 | zu § 4 Abs. 1 S. 1 SächsGemO: Bürgerbeteiligungssatzungen
Obwohl Bürgerbeteiligungssatzungen auch bereits nach jetziger Gesetzeslage erlassen werden können, ist dies in der Praxis nur äußerst selten so auch geschehen.

Eine Meinung nach wird die Aufnahme dieser expliziten Regelung in die SächsGemO im Interesse der Motivation der Gemeinden und ihrer Rät:innen begrüßt. Weiterführend wird angeregt, in § 4 Abs. 1 S. 2 die vorgeschlagene Kann-Bestimmung in eine Soll-Bestimmung zu überführen, damit selbst für kleinere Gemeinden eine höhere Verbindlichkeit entsteht.

Eine andere Meinung schätzt diese Regelung des Gesetzentwurfs als Überregulierung und Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung ein: Denn es wird hier auf Landesebene bestimmt, was die Kommunen selbst regeln können.

Art. 1 Nr. 3 | zu § 8a Abs. 3 SächsGemO: Obligatorischer Bürgerentscheid
Ungeteilt positiv wird bewertet, dass nunmehr in § 8a Abs. 3 ein obligatorischer Bürgerent- scheid bei freiwilligen Gemeindegebietsänderungen durch Vereinbarungen anstelle des bisheri- gen, oft nur formalen und kaum angenommenen Anhörungsverfahrens vorgeschrieben wird. Dies ist im Interesse der Akzeptanz der neuen Gebietszuschnitte ausdrücklich zu begrüßen.

Art. 1 Nr. 4 | zu § 21 Abs. 2 SächsGemO: Pauschale Entschädigungen

Mit der Neufassung von § 21 Abs. 2 SächsGemO wird bestimmt, dass unabhängig von den Bestimmungen in Abs. 1 nunmehr Gemeinderät:innen, Ortschaftsrät:innen, Mitgliedern von Stadtbezirksbeiräten und sonstigen Mitgliedern der Ausschüsse und Beiräte des Gemeinderats und Ortschaftsrats darüber hinaus eine pauschale Entschädigung für den Zeitaufwand zu gewähren ist, der für die Gremiensitzungen sowie deren Vor- und Nachbereitung erforderlich ist. Bisher war in der SächsGemO nur von „Entschädigung“ in Form einer Kann-Bestimmung die Rede.

Einerseits wird eingeschätzt, dass mit der neuen Regelung des § 21 Abs. 2 SächsGemO die Ausgestaltung der Entschädigungssatzungen durch die Gemeinden mehr Rechtssicherheit erfahren wird. Der betroffene Personenkreis hat nun einen Anspruch auf eine pauschale Entschädigung. Die Einzelheiten per Satzung zu regeln, bleibt weiterhin im Ermessen der Gemeinden.

Andererseits wird wiederum auf den Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung verwiesen: Entsprechende Regelungen können die Gemeinden schon heute beschließen, dafür bedarf es nicht der Regulierung durch den Gesetzgeber. Vielmehr braucht es im Allgemeinen eine der Aufgaben adäquate Finanzausstattung und die praktische Vermittlung anhand von Leitfäden, Best- Practice-Bespielen etc., wie eine Entschädigungssatzung sinnvoll zu gestalten ist.

Art. 1 Nr. 5 | zu § 22 Abs. 1 S. 2 und § 22 Abs. 2 SächsGemO
Art. 1 Nr. 6 | zu § 24 Abs. 3 SächsGemO
Art. 1 Nr. 7 | zu § 25 Abs. 1 S. 2 SächsGemO
Die Art. 1 Nr. 5 bis 7 werden als Instrumente formeller Bürgerbeteiligung im Zusammenhang be- trachtet.

Die Anzahl der vorgeschriebenen Einwohnerversammlungen auf zwei zu erhöhen (§ 22 Abs. S. SächsGemO) wird unterschiedlich bewertet. Zum einen wird dies als Aufwertung eines wichtigen Informationskanals für die lokale Öffentlichkeit begrüßt. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass wiederum der Gesetzgeber eine Regelung vorschreibt, über die die Kommunen im Rahmen der Selbstverwaltung selbst entscheiden können.

Die Absenkung der Quoten für Bürgerbegehren (§ 25 Abs. 1 S. 2 SächsGemO) und Bürger- entscheide (§ 24 Abs. 3 SächsGemO) wird durchweg begrüßt. Hier bietet sich die Chance, die Bürger:innen zur Mitwirkung an wichtigen kommunalpolitischen Entscheidungen zu motivieren, die Transparenz des kommunalen Handelns zu erhöhen und den leider weit verbreiteten Erscheinungen von Politikverdrossenheit entgegenzutreten.

Allerdings bleibt unverständlich, warum die Herabsetzung des Quorums für die Gültigkeit eines Bürgerentscheids auf weniger als 25%, aber mindestens 15 % der Stimmberechtigten per Hauptsatzung gemäß Nr. 6a nur den Kreisfreien Städten vorbehalten sein soll. Es wird deshalb angeregt, für alle Gemeinden unabhängig von ihrer Größe dieses Quorum auf 15 % zu senken.

Darüber hinausgehend wird angeregt, die für Bürgerbegehren äußerst „harte“ Bestimmung in § 25 Abs. 2 S. 2 SächsGemO, wonach die Initiatoren einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag zur Deckung der Kosten oder zum Ausgleich der Einnahmeausfälle der verlangten Maßnahme vorzulegen haben, wenigstens moderat abzuschwächen. Denn faktisch entwickelt diese Vorgabe eine Sperrwirkung für kommunalpolitisch Interessierte, aber nicht im kommunalen Haushaltsrecht ausgebildete Bürger:innen. Diese zu mindern, könnte zum Beispiel dergestalt geschehen, dass eine Fraktion beziehungsweise mindestens fünf Prozent der Gemeinderät:innen das Recht erhalten, das Anliegen der Initiator:innen des Bürgerbegehrens aufzugreifen und in Anlehnung an § 13 SächsGemO („Hilfe in Verwaltungsverfahren“) den oder die Bürgermeister:in zu beauftragen, über die Gemeindeverwaltung die notwendige Kostenabschätzung vorzunehmen und geeignete Deckungsvorschläge/-varianten aufzuzeigen.

Art. 1 Nr. 8b | zu § 28 Abs. 5 S. 1 SächsGemO: Erweiterte Fraktionsrechte
Die Erweiterung der Rechte von Fraktionen ist zu begrüßen: Mit der Einfügung der Wörter „oder eine Fraktion“ in § 28 Abs. 5 SächsGemO können jetzt auch Fraktionen in allen Angelegenheiten der Gemeinde verlangen, dass der oder die Bürgermeister:in den Gemeinderat informiert und diesem oder einem bestellten Ausschuss Akteneinsicht gewährt.

Art. 1 Nr. 9 | zu § 35a SächsGemO: Mindeststärke und Ausstattung von Fraktionen
Die neu zu schaffende Regelung über die Mindeststärke für die Bildung von Fraktionen in § 35a Abs. 1 S. 1 wird einerseits als Konkretisierung begrüßt und andererseits als unnötige Verregelung der kommunalen Selbstverwaltung betrachtet.

Einigkeit herrscht darüber, dass die angemessene sächliche und personelle Mindestausstattung der Fraktionen zu einer Pflicht-Bestimmung heraufgestuft und die Schlechterstellung von Kommunen mit weniger als 30.000 Einwohner:innen beendet wird.

Art. 1 Nr. 11 | Einfügung § 36b SächsGemO: Veröffentlichung von Informationen
Die vorgeschlagene Neuaufnahme eines § 36b unter der Überschrift „Veröffentlichung von Informationen“ ist eine schon seit längerer Zeit bestehende dringende Notwendigkeit.

Zum ersten wird damit das »Wilhelminische Amtsverständnis«, nachdem allein die Verwaltung einschließlich des Gemeinderates in »exekutiver Eigenverantwortung« die Gemeindeangelegenheiten diskutieren und erst nach Beschlussfassung die Öffentlichkeit informieren, aufgeweicht und im günstigsten Fall zurückgedrängt. Vor allem die Bereitstellung der öffentlichen Beschlussvorlagen auf der Homepage der Gemeinde nach § 36b Abs. 1 S. 1 und die nunmehrige ausdrückliche Erlaubnis für die Gemeinderät:innen, über den Inhalt von Beratungsunterlagen öffentlicher Sitzungen gegenüber Dritten und der Öffentlichkeit zu sprechen, sofern keine berechtigten Interessen Einzelner entgegenstehen (§ 36b Abs. 3), werten die Arbeit der ehrenamtlichen Gemeinderät:innen auf. Mehr Transparenz und mehr Interesse der Bürger:innen an der Arbeit der Gemeinden und ihrer Vertretungen sind die Folge. Es ist gerade nicht so, wie unter anderem behauptet wird, dass bei einer Vorabveröffentlichung der Beratungsunterlagen Stimmungen von Wutbürger:innen geschürt würden und die Beschlussvorlagen bloß zerredet werden. Umgekehrt: Geheimniskrämerei entfremdet Bürger:innen vom demokratischen Gemeinwesen – Misstrauen, Lethargie und Politikverdrossenheit werden dadurch gefördert.

Zum zweiten wird die Einfügung des § 36b erforderlich, weil es in Sachsen unterschiedliche Rechtsauffassungen und Praktiken im Umgang mit Beratungsunterlagen für öffentliche Sitzungen gibt. Während einige Gemeinden und Landkreise dem allgemeinen Trend folgend die Beratungsunterlagen öffentlicher Sitzungen über das Ratsinformationssystem vor den öffentlichen Sitzungen ins Internet stellen, hielten andere dagegen, weil durch eine Vorabveröffentlichung der Beratungsunterlagen die öffentliche Meinung bereits in hohem Maße festgelegt werde und eine freie, ungezwungene Beratung und Beschlussfassung im Gemeinderat erschwert werde. Die Anhänger der letzteren, restriktiven Handhabung im Umgang mit Beratungsunterlagen öffentlicher Sitzungen wurden in ihrer Auffassung durch zwei Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (SächsOVG) vom 8. Juli 2016 und vom 30. August 2019 unterstützt, wo das SächsOVG feststellte, dass es sich bei Beratungsunterlagen insgesamt – es wird kein Unterschied gemacht, ob für öffentliche oder nichtöffentliche Sitzungen – um „rein interne Papiere der Verwaltung“ handle, die bis zur öffentlichen Sitzung der Geheimhaltung unterlägen. Die überwiegende Mehrheit der Kommunen, die bislang schon ihre Sitzungsunterlagen vorab ins Internet gestellt hatten, nahmen die Entscheidungen des SächsOVG nicht zur Kenntnis und bleiben bei ihrer bisherigen Praxis.

Es ist auch nicht bekannt, dass etwa die Rechtsaufsichtsbehörden dagegen eingeschritten wären. Bis jetzt stehen sich also in Sachsen zwei unterschiedliche Rechtsauffassungen und Handhabungen in einer so wichtigen Frage der kommunalen Demokratie gegenüber. Es ist höchste Zeit, dass die Legislative durch eine klärende Gesetzesnovellierung, im Interesse der Transparenz, für Rechtssicherheit sorgt und den Entscheidungen des SächsOVG den Boden entzieht.

Ob es allerdings notwendig ist, gemäß § 36b Abs. 2 wirklich alle Beratungsunterlagen für die öffentliche Sitzung auszulegen, sei dahingestellt. Uns erscheint das übertrieben und nicht umweltfreundlich. Besser wäre ein Verweis auf die Homepage der Gemeinde im jeweiligen Amtsblatt, wo bei Bedarf bzw. bei Interesse die Unterlagen über die gängigen Bürgerinformationssysteme abgerufen werden können.

Weiterhin erscheint die Formulierung in § 36b Abs. 1 S. 1 zu weich. Schließlich dürfte es im Jahr 2021 keine sächsische Gemeinde mehr geben, die nicht über eine eigene Homepage verfügt. Hier sollte eine Pflicht zu Veröffentlichung der betreffenden Unterlagen auf der eigenen Homepage und/oder Ratsinformationssystem und – mit Blick auf die jüngere Generation – gegebenenfalls auch in den Sozialen Netzwerken formuliert werden.

Für Unklarheiten und Überregulierung sorgen jedoch die Sätze 1, 3 und 4 in § 36 Abs. 1. Diese entwerten die obenstehend als positiv angeführten Punkte. Da es hier erklärtermaßen ausschließlich um öffentliche Sitzungen geht, ist es unverständlich, wieso hier nochmalig und überflüssigerweise der selbstverständliche Schutz von personenbezogenen Daten sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen angemahnt wird. Gleiches gilt für die möglicherweise entgegenstehenden berechtigten Interessen Einzelner gegen die Öffentlichmachung dieser öffentlichen Beratungsgegenstände. Falls es solche Fallkonstellationen wirklich gäbe, wäre zwingend eine nichtöffentliche Sitzung für nur diese Beratungsgegenstände notwendig – womit sich der Regelungsbedarf wie- derum erledigt.

Art. 1 Nr. 12 | zu § 39 Abs. 1 S. 1 SächsGemO: Heilung von Form- und Fristverstößen

Die Ansichten bezüglich der Einfügung der Sätze 2 und 3 zur Heilung von Form- und Fristverstößen gehen auseinander.

Zum einen wird deren Streichung aus dem Gesetzesentwurf angemahnt, da deren praktische Anwendung nur zu Konfusion und Streit führt. Überdies sollte bei einer ornnungsgemäßen Verwaltungsarbeit es ohne weiteres möglich sein, form- und fristgerecht einzuladen.

Zum anderen wird entgegenhalten, dass die Einfügung unschädlich sei. Auch einer ordnungsgemäß arbeitenden Verwaltung können Fehler unterlaufen.

Art. 1 Nr. 13 | zu § 41 Abs. 1 SächsGemO: Zeitweilige Ausschüsse
Die Bildung von zeitweiligen Ausschüssen gemäß § 41 Abs. (1) Satz 3 wird begrüßt, da dies zum Beispiel bei der Projektarbeit oder bei der Haushaltskonsolidierung sinnvoll sein kann. Es wird jedoch angemerkt, dass dies auch nach bestehender Gesetzeslage zulässig ist, demnach die Frage nach dem konkreten Mehrwert offen bleibt.

Art. 1 Nr. 15b | zu § 49 Abs. 4 SächsGemO: Geschäftsführung kommunaler Unternehmen
Die Klarstellung in § 49 Abs. 4, dass Bürgermeister:innen nicht gleichzeitig die Geschäftsführer:innen privatrechtlicher Unternehmens der Gemeinde nach § 96 SächsGemO sein können , wird einhellig unterstützt. Dies schließt Interessenkonflikte weitgehend aus und bestärkt die Bürgermeister:innen , sich auf die Aufgaben als Repräsentant:innen, Vorsitzende:r des Gemeinderates und Chef:innen der Gemeindeverwaltung zu konzentrieren.

Allerdings bleibt zu bemängeln, dass für solche problematischen Doppelfunktionen keine kürzere Übergangsfrist von z. B. einem Jahr nach Inkrafttreten des Artikelgesetzes gesetzt werden soll. Vielmehr soll nach Art. 1 Nr. 24 der zu novellierende § 130 SächsGemO sogar festschreiben, dass die Geschäftsführertätigkeit des/der Bürgermeister:in bis zum Ende der laufenden Amtszeit ausgeübt werden kann, also bis zu sieben Jahre andauern darf.

Art. 1 Nr. 16 | zu § 51 Abs. 2 SächsGemO: Hauptamtlichkeit von Bürgermeister:innen
Die Neufassung in § 51 Abs. 2, wonach die Bürgermeister:innen in allen Gemeinden unabhängig von deren Größe grundsätzlich hauptamtliche Beamt:innen auf Zeit sind, wird einhellig unterstützt.

Die Aufgaben von Bürgermeister:innen sind auch in kleineren Gemeinden komplex und können keinesfalls dauerhaft im Ehrenamt – mit relativ geringem Zeitbudget und dürftiger Aufwandsentschädigung – bewältigt werden. Wird das aus Einsparungsgründen dennoch versucht, zieht dies eine schleichende Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung nach sich und läuft im Endeffekt auf einen massiven Druck hinaus, früher oder später doch die Eigenständigkeit der Gemeinde „freiwillig“ aufzugeben. Es ist sehr zu begrüßen, dass diese zu Politikverdrossenheit und Entfremdung führende Praxis nun beendet werden soll.

Jedoch wird die Frage angemerkt, ob die zukünftig hauptamtlichen Bürgermeister:innen auch in sehr kleinen Gemeinden bis 1.200 Einwohner:innen in die Besoldungsgruppe A 12 eingestuft werden. Zu prüfen bleibt, ob hier nicht eine größere Spreizung entsprechend der Gemeindegrößenklasse angemessen ist.

Art. 1 Nr. 22 | zu § 87 SächsGemO: Kommunale Versorgungsunternehmen
Die umfangreichen Neuerungen in § 97 SächsGemO zu den kommunalen Versorgungsunternehmen sind ein interessanter Versuch, den allgegenwärtigen Verselbständigungstendenzen dieser Unternehmen entgegenzuwirken und zumindest ein Mindestmaß an kommunaler Steuerung selbst bei mehrstufiger und damit nur mittelbarer Beteiligung an diesen Unternehmen zu gewährleisten.
Ob dies mit den vorgeschlagenen ordnungsrechtlichen Regelungen in ausreichendem Maß gelingen wird, ist gegenwärtig nicht abschätzbar. Daher ist der für das Jahr 2024 vorgesehene Evaluationsbericht des SMI eine wichtige Maßnahme, um hier eventuell nachsteuern zu können.

Artikel 2 – Änderung der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO)

Da die vorgeschlagenen materiellen Änderungen der Landkreisordnung sinngleich diejenigen der Gemeindeordnung wiederholen, gelten alle zu Artikel 1 angebrachten Bemerkungen und Kritiken sinngemäß auch hier.

Als besonders positiv zu bewerten, eingedenk der oben formulierten Kritikpunkte, sind die Regelungen zu Bürgerbeteiligungssatzungen (§ 3 Abs. 1), die deutliche Herabsetzung der Quoren für Einwohnerantrag (§ 20 Abs. 1), Bürgerbegehren (§ 21 Abs. 1) und Bürgerentscheid (§ 22 Abs. 3), zur Bildung und Finanzausstattung der Fraktionen (§ 31 a Abs. 1 und 3) sowie zur Veröffentlichung von Informationen (§ 32b).

Artikel 3 - Sächsisches Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (SächsKomZG)

Art. 1 und 2 | zu § 16 Abs. 5 und § 54 Abs. 4 SächsKomZG: Frühzeitige Unterrichtung
Die nunmehr in § 16 Abs. (5) festgeschriebene frühzeitige Unterrichtungspflicht der Vertreter:in- nen des Verwaltungsverbandes im Gemeinderat über alle Angelegenheiten des Verbandes von besonderer Bedeutung ist positiv zu werten. Damit wird nicht nur das generelle Weisungsrecht des Gemeinderats für seine Vertreter im Verband auf solide Grundlagen gestellt, sondern ganz generell der Gemeinderat aufgewertet und die Transparenz des Handelns des Verwaltungsverbands erhöht. Dies sollte zu größerem Bürgerinteresse an der Verbandsarbeit und mehr bürgerschaftlichem Engagement in der Kommune und im Verband führen.

Eine analoge positive Einschätzung wird zu der Neuregelung in § 54 Abs. 4 in Bezug auf die Zweckverbände und die frühzeitige Unterrichtungspflicht deren Vertreter:innen im Hauptorgan ihres Verbandsmitglieds gegeben.

Art. 3 | zu § 56 Abs. 3 SächsKomZG: Vorzeitige Abwahl
Die Neuregelung und Erweiterung in § 56 Abs. 3 S. 2 mit dem Ziel, die vorzeitige Abwahl eines Verbandsvorsitzenden zu ermöglichen, beseitigt eine bisherige Regelungslücke.

Artikel 4 – Sächsisches Kommunalwahlgesetz (SächsKomWG)

Art. 3 und 4 | zu §§ 21, 22 SächsKomWG: Sainte-Laguë-Verfahren

Die Ersetzung des bisherigen d ́Hondtschen Höchstzahlverfahrens bei der Stimmenauszählung durch das entsprechende Verfahren nach Sainte-Laguë in den §§ 21, 22 ist ein richtiger Schritt. Auch wenn in zahlreichen Fällen beide Verfahren das gleiche Ergebnis bei der Sitzverteilung liefern, zeigen Modellrechnungen, dass das nunmehr eingeführte Sainte-Laguë-Verfahren in gewissen Konstellationen das Wahlergebnis gerechter abbildet, da die »großen« Wahlvorschlagsträger nicht mehr bevorteilt und die »kleinen« nicht mehr benachteiligt werden.

Artikel 5 – Sächsisches Beamtengesetz (SächsBG)

Die Neuregelung, dass alle Bürgermeister:innen »der ersten Stunde« nach der Wende im Jahr 1990 ab ihrem 65. Lebensjahr einen dynamisierten Ehrensold in Höhe von 100 Euro monatlich bekommen sollen, so sie mindestens eine Amtszeit tätig waren und nicht vorzeitig abgelöst wurden (§ 155 b), kann mitgetragen werden. Allerdings kommt diese Regelung reichlich spät, da sich viele dieser ehemaligen Amtsträger:innen im hohen Lebensalter befinden dürften bzw. bereits verstorben sind.

Kosten des Gesetzentwurfes | Mehrbelastungsausgleich

Sowohl durch

  • die Einführung eines Rechtsanspruches auf eine angemessene sächliche und personelle Mindestausstattung für kommunale Fraktionen (Art. 1 Nr. 9),

  • durch die Neuregelung des Grundsatzes von hauptamtlichen Bürgermeister:innen in Gemeinden von unter 5.000 Einwohner:innen (Art. 1 Nr. 16) als auch

  • durch die Einführung eines pauschalen Ehrensoldes für ehemalige ehrenamtliche Bürgermeister:innen (Art. 5 Nummer 3)

    entstehen den Kommunen Mehrkosten.

    Diese sind im Gesetzentwurf nur teilweise konkret beziffert und müssen in einem Mehrbelastungsausgleich geregelt und vom Freistaat ersetzt werden.

Autor:innen
Dr. Michael Friedrich (Dipl.-Mathematiker, Fraktionsvorsitzender Die Linke im Kreistag Nordsachsen)
Dr. Achim Grunke (Dipl.-Philosoph, Kreisrat im Kreistag Mittelsachsen)
Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt FH, sachkundiger Einwohner im Verwaltungsausschuss der Stadt Meißen)
Judith Sodann (Kulturwissenschaftlerin, Fraktionsgeschäftsführerin Die Linke im Kreistag Nordsachsen)

Redaktion
Konrad Hilger, M.A.